Eindeutig Liebe - Roman
ließ sie herein. Ich hatte nicht gewusst, dass sie kommen wollte. Ich beachtete sie kaum, sondern saß bloß in der Küche und versuchte, mir etwas Toast hineinzuzwingen. Und wenn ich hineinzwingen sage, dann meine ich das auch so. Es war, als versuchte ich, Sandpapier mit Marmelade zu schlucken.
»Si?«, fragte sie. Sie stand mit Tränen in den Augen in der Tür. Doch ich hatte keine Tränen mehr übrig. Sie trug ein weißes T-Shirt, eine Männerjeans und Ballettpumps. Sie sah toll aus. Ich blickte von meinem Toast auf und war heilfroh, dass sie da war, aber ich hatte Angst davor zu sprechen, denn ich wusste nicht, was herauskommen würde. Langsam kam sie auf mich zu, und ich stand auf – fast wie bei einer Zeremonie –, aber ich wusste nicht, was ich mit meinen Armen anstellen sollte. Ich wusste nicht, was ich tun oder was ich sagen sollte. Sie nahm mich einfach in die Arme und hielt mich beinahe eine Ewigkeit fest. Als sie sich endlich wieder löste und mich ansah, war ihr Gesicht mit schwarzer Wimperntusche verschmiert; es sah aus wie ausgelaufenes Rohöl. Ihre Augen waren rot.
»Es tut mir leid, Si; ich sollte nicht diejenige sein, die hier weint«, entschuldigte sie sich und schniefte heftig. Dann zog sie sich einen Holzstuhl heran. Nick stand in der Tür und sah uns eine Weile zu, dann machte er Tee und ging nach oben. Der heiße Dampf stieg von den Bechern auf, und ich legte die Hände um meinen; ich war für jedes bisschen Wärme dankbar.
»Was soll ich nur tun, El?«, fragte ich und spürte, wie mein Kinn wieder zu zittern anfing.
Sie nahm meine Hände und drückte sie fest. »Du kommst schon wieder auf die Beine, Sienna. Ich bin auch so etwas wie eine Familie für dich, das weißt du. Ich werde immer für dich da sein – und Nick auch.«
Ich spürte, wie mir wieder die Tränen kamen, obwohl ich gedacht hatte, ich wäre endlich ausgetrocknet. War es überhaupt möglich, dass ein Mensch so viel weinte? Ich betrachtete die Augen in dem Holztisch und begann, sie mit dem Finger nachzufahren. Sie fühlten sich glatt an. Mein Kopf war schwer, und ich wollte mein Gesicht auf die kühle Tischplatte legen, aber das wäre dann doch allzu seltsam gewesen.
»Danke«, sagte ich.
»Kann ich dir sonst irgendwie helfen?«, wollte sie wissen.
Helfen. Ich wollte nur meinen Vater zurück. Auch wenn er bloß schlief. Ich wollte ihm beim Schnarchen zusehen können, wie ich es so oft getan hatte. Ihm Abendbrot machen, mir seine Vorträge anhören – welches weltbewegende Thema ihn auch immer gerade beschäftigte –, ihm vorlesen. Ich wünschte, ich wäre da gewesen, um ihn aufzufangen, als er gestürzt war. Wenn ich nur früher nach Hause gekommen wäre …
Ich hatte davon geträumt – Träume, die mich schwitzen und zittern ließen. Albträume. In meinen Träumen sagte mir Ant, ich könne früher gehen. Ich kam nach Hause, und Dad und ich standen zusammen in der Küche und scherzten und lachten, wie immer. Dann fiel er um. Ich bemerkte es zwar und versuchte sofort, ihn mit beiden Armen aufzufangen, aber er war zu schwer für mich. Ich war einfach nicht stark genug, sodass er auf den Boden knallte und verschwand. Also begann ich, auf Händen und Knien nach ihm zu suchen, tastete den Boden nach ihm ab, aber er war verschwunden. Zweimal war ich schon aufgewacht, um festzustellen, dass ich die Matratze nach meinem Vater abtastete.
Was konnte Elouise schon tun, außer weiter meine zu Freundin sein? Zurückbringen konnte sie mir Dad nicht.
Ich hoffte nur, sie würde niemals so verschwinden wie er. Mir nie genommen werden. Doch dafür gab es keine Garantie mehr. Das Leben war zerbrechlich, vergänglich. Es jagte mir Angst ein.
»Können wir einen Disney-Abend machen?«, fragte ich.
Sie lachte auf, doch dann begriff sie, dass es mir ernst war. »Na, selbstverständlich können wir das. Ich komme vorbei, bringe Wein und Essen mit, und wir gucken den ganzen Abend lang Disney-Filme, wenn du willst.« Sie schob sich den Pony aus dem verschmierten Gesicht und lächelte.
»Ja, bitte«, sagte ich.
»Wie wäre es mit morgen Abend?«, schlug sie vor.
Und so machten wir es, Nick, Elouise und ich. Wir saßen zusammen auf dem Sofa, Elouise links von mir, Nick rechts. Wir sahen Susi und Strolch , Arielle, die Meerjungfrau und Der König der Löwen in einem Rutsch. Dazu tranken wir Wein, als käme er aus dem Wasserhahn in der Küche. Ich bin mir nicht mehr sicher, weshalb ich mir Disney-Filme gewünscht hatte, aber sie hatten
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