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Eindeutig Liebe - Roman

Eindeutig Liebe - Roman

Titel: Eindeutig Liebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
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Bierdosen als einziger Gesellschaft.
    Diesmal war niemand sonst an der Maschine. Ich zog einen Tee mit einem Stück Zucker. Das war natürlich nur geraten.
    Ich dachte einfach, dass ich bestimmt gern Zucker im Tee hätte, wenn ich in einer feuchten Frühlingsnacht auf der Straße schlafen müsste. Als Mittagessen hatte ich mir Kekse mitgebracht, und jetzt steckte ich zwei davon für ihn in die Tasche. Es waren Schokoladenkekse.
    Dann versteckte ich den Teebecher in meiner Jacke und ging zum Lift. Ich war nervös. Was, wenn er ausfallend wurde? Wenn er mich beschimpfte? Wahrscheinlich wollte er nur Geld, keinen Tee.
    Trotzdem trat ich in die Kabine und hoffte, dass ich das Richtige tat. Unbemerkt schlüpfte ich an der Rezeption vorbei, drückte den Türöffner an der großen Glastür, die hinter das Gebäude führte, und machte einen Schritt auf den Parkplatz, hinaus in die kühle Luft.
    Er saß mit dem Rücken zu mir und hatte den Kopf gesenkt, sodass es von hinten so aussah, als hätte er keinen. Ich warf einen Blick auf meine Uhr; es war fünf nach zwölf.
    Dann ging ich leise auf die Bank zu und setzte mich neben ihn. Er sah mich nicht an, aber sein runzliges Gesicht war jetzt der lauwarmen Sonne zugewandt, die bereits den Sommer ankündigte. Er trug eine dunkelblaue Bomberjacke, ausgeblichen und voller Löcher, darunter einen grauen Pullover, eine zerfetzte schwarze Jeans und braune Schuhe mit ausgefransten Schnürsenkeln. Und er stank nach Bier.
    »Aha, jetzt sprichst du also doch mit mir, was?«, fuhr er mich an.
    Augenblicklich wurde mir klar, was für eine schlechte Idee ich gehabt hatte. Ich beschloss, die Frage zu ignorieren. »Hi, ich bin Si …«, setzte ich zaghaft an, aber er unterbrach mich so unvermittelt, dass ich zusammenzuckte.
    »Ich glaube an die Liebe, weißt du«, sagte er, und sein Blick richtete sich auf irgendetwas am Horizont. »Ich habe das sogar mal erlebt«, fuhr er fort und rutschte nervös auf der Bank herum, während seine schmutzigen Fingernägel mit einem losen Faden seines Pullovers spielten.
    »Wie heißt du?«, wollte er plötzlich wissen, obwohl ich es ihm vor einigen Sekunden erst hatte sagen wollen. Er hatte eine autoritäre Stimme mit breitem Londoner Akzent, als wäre er einmal vornehm gewesen und irgendwann später dann doch ein Cockney geworden.
    »Äh, Sienna. Du heißt Pete, richtig?«, fragte ich ihn. Mir fiel auf, dass er immer noch jeden Blickkontakt vermied.
    Er nickte leicht. »Aber sie ist gestorben. Sie ist nicht mehr …«, begann er wieder, hoffnungslose Verzweiflung in der Stimme. Für die erste Begegnung war er mir ein bisschen zu mitteilsam, aber ich schwieg und blickte auf die Bierdosen zu seinen Füßen. Er musste betrunken sein. Er zog wieder an dem Faden, und ein Teil seines Pullovers begann sich aufzuribbeln.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Du hattest eine Freundin, die gestorben ist?«, hakte ich schließlich nach. Mir war bewusst, wie dumm das klingen musste, denn genau das hatte er ja gerade gesagt. Schnell schob ich ihm den Tee und die Kekse zu. Er nahm beides und stellte es auf die mir abgewandte Seite neben sich, als könnte ich es mir noch mal anders überlegen und die Sachen zurückverlangen.
    Mir wurde klar, dass hinter seinen müden Augen mehr steckte als bloß kalte Nächte auf der Straße und Mangelernährung. Doch ich wollte nicht zu viele Fragen stellen.
    Zehn Minuten lang saßen wir so nebeneinander, ohne ein Wort zu sagen. Gelegentlich heulten irgendwo Polizeisirenen auf; ein Zweig fiel vom Baum und landete vor unseren Füßen. Pete zuckte zusammen.
    Schließlich war ich bereit, etwas zu fragen.
    »Bist du deshalb hier, Pete?«
    »Das kannst du wohl sagen. Sie war sogar meine Frau … Sie fuhr immer mit dem Zug zur Arbeit. Auch an dem Tag. Ich dachte, es wäre ein Tag wie jeder andere. Am Morgen war alles ganz normal zwischen uns – zwei große Gläser Orangensaft und ein Kuss zum Abschied. Doch sie nahm nicht ihre übliche Route, weil sie zu einer Konferenz musste; sie sollte die Nacht in einem Hotel verbringen. Doch dann geschah ein Unglück, ein riesiges Unglück …« Er hielt einen Augenblick lang inne und biss sich auf die Unterlippe.
    »Sie saß in dem Zug, der in Oakwood Park entgleist ist. Es war ein Unglückswaggon, und ausgerechnet mein Mädchen saß da drin. Ich wünschte nur, ich hätte sie an dem Morgen nicht gehen lassen. An dem Tag, an dem sie starb, ging mein ganzes Leben in die Brüche. Danach habe ich ein

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