Eindeutig Liebe - Roman
fragte sie nervös. Na, was konnte ein abgerissener Typ Mitte bis Ende zwanzig, der dringend eine Rasur benötigt hätte, auch sonst sein?
»Ja, genau. Was genau werden Sie denn während Ihrer Woche bei uns machen, Chloe?«, erkundigte ich mich, lehnte mich an den Schreibtisch – und entdeckte einen dunklen Fleck auf meinen bislang makellosen Onitsuka Tigers. Verdammt. Ich besaß die Laufschuhe schon seit acht Monaten und hatte es bisher immer geschafft, sie sauber zu halten.
»Na ja, ich bin hier, um allen ein bisschen zu helfen. Ich hoffe, ein wenig Berufserfahrung zu sammeln, die mir dann bei der Jobsuche helfen wird, aber im Moment ist es ziemlich schwierig, irgendwo unterzukommen. Wahrscheinlich werde ich jede Menge Tee kochen.« Sie lächelte.
Wenigstens dachte sie realistisch. »Und was tun Sie normalerweise so?«, fragte ich.
»Ich bin bei einer Jobvermittlungsagentur. Im Moment suchen sie für mich nach etwas Dauerhaftem in der Verlagswelt. Ich habe gerade meinen Master an der UCL gemacht. Das war ganz schön hart«, gab sie zu und spielte mit einigen alt aussehenden goldenen Armreifen an ihrem linken Handgelenk.
»Na, dann wünsche ich Ihnen viel Glück, Chloe. Und es war schön, Sie kennenzulernen«, sagte ich und versuchte, ihr dabei ein paar positive Schwingungen zukommen zu lassen. Ich erinnerte mich noch gut an meine Anfangszeit, die manchmal ganz schön zermürbend gewesen war – an Standardabsagen auf meine Bewerbungen und den bitteren Geschmack der Unzulänglichkeit beim Frühstück, an demütigende Bewerbungsgespräche bei aufgeblasenen, überheblichen jungen Schnöseln, die man nur eingestellt hatte, weil sie mit dem Chef verwandt waren.
»Haben Sie schon die ganze Bande kennengelernt?«, fragte ich.
»Ja, die meisten … nur Sienna kenne ich noch nicht – ich glaube, so heißt sie. Sie ist Journalistin, oder? Sie ist nicht da, ich glaube, sie führt irgendwo ein Interview.«
»Ach ja, Sienna«, kommentierte ich wissend. Ich bemühte mich verzweifelt, mir auf keinen Fall anmerken zu lassen, dass ich gerade versuchte, über sie hinwegzukommen, nachdem ich sie fast zwei Jahre lang bedingungslos geliebt hatte.
Ich beugte mich vor. Chloe roch warm nach Gewürzen, und ich überlegte einen Augenblick lang, wie sehr ich Frauen mit ihren exotischen Düften und ihrem schrägen Schmuck liebte und wie man an sie denken musste, als ständen sie direkt neben einem, wenn man im Zug einen vertrauten Geruch in die Nase bekam …
»Sienna wird sich gut um Sie kümmern. Das da drüben ist ihr Schreibtisch.« Ich drehte Chloe herum und zeigte auf den unbesetzten Stuhl. Ihr Platz war bedeckt mit Fotos von lächelnden jungen Mädchen Anfang zwanzig in verschiedenen schicken Nachtklubs und Bars. Auf fast allen stand Sienna in der Mitte, in einem fantastischen Outfit, das sie sich einfach so übergeworfen hatte.
Wieder überrollte mich kurz eine Welle der Traurigkeit. Mir war, als hätte ich alles verloren, als ich mich dazu entschieden hatte, sie hinter mir zu lassen. In mancherlei Hinsicht trauerte ich um den Verlust der Hoffnung. Der Hoffnung darauf, dass wir eines Tages doch noch zusammenkommen könnten. Den größten Teil des Wochenendes hatte ich zu Hause vor mich hinvegetiert und mir in Gesellschaft einer Packung Marlboro Lights und eines Kasten Biers alte Filme angesehen.
»Oh, toll – na, ich kann es gar nicht erwarten, sie kennenzulernen. Wir sehen uns«, sagte Chloe, dann tänzelte sie aus meinem Büro wie eine Katze. Dabei wackelte sie eindeutig ein bisschen mit ihrem Po – und zwar eindeutig absichtlich. Hmm …
Endlich etwas Neues und Aufregendes im Büro. Auch wenn es nur für eine Woche war – es kam wie gerufen, und dass sie bald wieder gehen würde, gefiel mir noch besser. Es bedeutete, dass ich sie vielleicht tatsächlich fragen konnte, ob sie mit mir ausgehen wollte, einen schönen Abend verbringen, was auch immer. Sie war Praktikantin, also würde es nicht gegen meine Regel verstoßen, nie wieder mit einer Kollegin auszugehen, denn in einer Woche wäre sie ja schon keine mehr. Ha!
Ein kleiner orangefarbener Balken blitzte rechts an der unteren Kante meines Bildschirms auf. Es war eine Chatnachricht von Anthony.
WAS HALTEN SIE DAVON?
Großbuchstaben – das Kennzeichen eines Wahnsinnigen.
Ich stellte mich dumm. Mal wieder. »Wovon?«, schrieb ich zurück.
DER PRAKTIKANTIN, SIE DEPP.
Ts-ts-ts, wie unhöflich. Ich schrieb: »Sie scheint ganz nett zu sein. Aber ich dachte, wir
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