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Eindeutig Liebe - Roman

Eindeutig Liebe - Roman

Titel: Eindeutig Liebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
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Zugunglück. Ich konnte an Mums Ärmel zupfen, so viel ich wollte, aufhalten konnte ich sie nicht.
    »Dieser Mann war einmal der tollste Mensch, dem ich je begegnet bin«, begann Mum. Ihre Stimme bebte, so aufgewühlt war sie. »Er hat mir das Gefühl gegeben, ich wäre die schönste Frau auf der Welt. Er war glücklich, ehrgeizig, zupackend …« Ich wusste, dass Mum sich der versammelten Zuhörer bewusst war, aber eine gewisse Leblosigkeit in ihren Augen wies auch auf einen völligen Kontrollverlust hin. Während sie sprach, warf sie die Arme hoch zur Decke, und an ihrem Handgelenk klirrten winzige silberne Armbänder gegeneinander. Ich wurde rot.
    »Diesem Mann, meinem Mann, geht es sehr schlecht. Keiner von uns weiß, woran es liegt, und ich komme nicht damit zurecht, ich kann nicht mehr … ich kann es nicht länger ertragen. Das ist nicht mehr der Mann, den ich geheiratet habe. Ich brauche Hilfe. Bitte, kann mir nicht irgendjemand helfen?«
    Und das war’s dann: Die Show war vorbei, und sie rollte sich auf dem Boden neben Dads scheinbar leblosem Körper zu einem Ball zusammen. Es sah aus wie am Tatort eines Verbrechens. Etwas war verschwunden, war schiefgegangen, hatte sich aufgelöst, und diese kleine Familie schaffte es nicht, die Bruchstücke wieder zusammenzufügen. Mum und Dad benahmen sich wie Kinder. Und ich musste das Chaos beseitigen.
    Die Frau mit der strengen Brille legte Mum zögerlich die Hand auf den Rücken und streichelte ihn sanft. Niemand wusste so genau, was er sagen sollte. Einige weniger voyeuristisch veranlagte Zuschauer zogen sich auf ihre mit Polyester bezogenen Stühle zurück und vertieften sich in ihre Zeitungen – vielleicht konnten die Sportergebnisse oder die neusten Börsenkurse sie ja von der nackten Verletzlichkeit dieses Gefühlsausbruchs ablenken. Andere kamen näher, die Gesichter voller Traurigkeit und Sorge.
    Tee wurde gekocht und Platz geschaffen, und endlich kam Dad wieder zu sich. Ihm standen die Tränen in den Augen. Er hatte alles gehört. Er setzte sich wieder hin und versuchte, Mums Hand zu nehmen, doch sie zog sie weg. Das habe ich tatsächlich beobachtet, und ich werde es niemals vergessen!
    Ein paar Minuten später war Dad so weit und schlurfte ins Sprechzimmer. Er hielt sich mit der Rechten an einem Handlauf fest, der dort an die Wand geschraubt war, in der Linken hielt er die Videokassette.
    Mittlerweile kannten wir seine Ärztin ganz gut. Dr. Knowles war eine junge Allgemeinmedizinerin, die ihren Abschluss vor höchstens fünf Jahren gemacht hatte. Ihr feines Gesicht war herzförmig, und sie hatte mausbraunes Haar, das von einem dicken schwarzen Stirnband aus dem Gesicht gehalten wurde. Sie sah zwar mäuschenhaft aus, wirkte aber davon abgesehen ganz und gar nicht so. Schon oft hatte sie ihrer Frustration über Dads immer schlechter werdenden Zustand Ausdruck verliehen, indem sie sich die Hände vors Gesicht schlug. Er war ein wirklich ungewöhnlicher Fall, und sie hatte es nicht geschafft, ihn zu lösen. Sie hatte uns bereits gestanden, dass er für sie zu einer Art Besessenheit geworden war, zwischen all den Rippenbrüchen und Mandelentzündungen.
    »Ich weiß jetzt, was nicht stimmt«, erklärte Dad und schob ihr die Videokassette hinüber. Ich saß auf dem Stuhl neben ihm. Mum war nirgends zu sehen.
    Dr. Knowles setzte sich gerade hin und sah uns verwirrt an. Vermutlich fragte sie sich zum einen, wie Dads Diagnose wohl lautete, und zum anderen, woher sie bloß einen altmodischen Videorekorder nehmen sollte.
    Sie sagte jedoch nichts, sondern hob nur den Zeigefinger, als versuche sie damit zu ergründen, wo sich solch ein überkommenes Gerät befinden mochte. Dann fuhr sie mit dem Schreibtischstuhl nach rechts und nach links, offensichtlich tief in Gedanken versunken. Schließlich sprang sie auf, hechtete zu einem Schrank und nahm einen älter aussehenden kleinen Fernseher heraus, in den ein Videoabspielgerät eingebaut war. Als sie ihn aus dem Schrank hob, verhakte sich das Netzkabel in einem Papierstapel und riss ihn zu Boden. Es dauerte nur eine Minute, bis sie das Gerät angeschlossen hatte und die Kassette in das Maul des Kastens schob, der die Herausforderung dankbar annahm und zufrieden begann, auf den weißen Zahnrädern herumzukauen.
    Es wurde still, als wir zum ersten Mal sahen, worin dieser große Durchbruch bestehen mochte. Später erfuhren wir, dass Mum diese Zeit auf der Toilette den Gang hinunter verbracht und eine Zigarette nach der anderen

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