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Eindeutig Liebe - Roman

Eindeutig Liebe - Roman

Titel: Eindeutig Liebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
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sah. Dem Zuschauer wurde eine Martha aus Illinois präsentiert, die nicht mehr als fünf Stunden am Tag wach bleiben konnte und ständig einschlief, egal wo sie sich befand. Doch Martha war übergewichtig, kränklich und unsympathisch; und Dad wollte nicht ihrer Welt angehören. So war er doch nicht …
    Zwei Fallstudien später hatte Dad seine Antwort – Narkolepsie. Er fackelte nicht lange. Gleich am nächsten Morgen zog er sich langsam an und forderte Mum auf, ihn zur Arztpraxis zu bringen. Diesmal trug er Hemd und Krawatte – er wollte ernst genommen werden. An diesen Morgen erinnere ich mich klar und deutlich.
    Dad schlurfte langsam von der Haustür zum Vordersitz unseres Autos. Einmal musste er sich am Türrahmen festhalten, damit er nicht hinfiel. Dass mit ihm etwas nicht stimmte, hatte sich längst herumgesprochen, und die Nachbarn wussten, dass er auf höchst seltsame Weise krank war – bereits ein paarmal war er in unserem Vorgarten zusammengebrochen. Die Leute redeten darüber. Nachbarn standen in ihren Gärten und starrten ihn an.
    Auf dem kurzen Weg bis zur Praxis, bemerkte Mum, dass Dad eine Videokassette in den Händen hielt. Er umklammerte sie so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Ich saß hinten.
    »Was zum Teufel ist das, George?«, fragte sie in ihrem gewohnt verächtlichen Tonfall.
    »Ich glaube, ich weiß jetzt, was mit mir los ist«, antwortete er. »Ich glaube, ich habe Narkolepsie.«
    »Narko-was?«, erwiderte sie und drehte ihren Kopf entrüstet zur Seite, sodass ihr der Pony übers Gesicht flog. Wütend riss sie die rechte Hand hoch in die Luft. Ihre makellos manikürten Nägel funkelten wie scharfe Klingen. Dann seufzte sie einmal tief und schwieg wieder.
    Wir schienen ewig im Wartezimmer zu sitzen. Mum blätterte wütend durch die Hochglanzseiten des Hello! -Magazins und überflog die Artikel höchstens. Ich versuchte, mit Dad zu reden, aber er war kaum ansprechbar. Ich erinnere mich noch, dass mir dort, während wir warteten, die tiefen Falten auf seiner Stirn zum ersten Mal auffielen. Er alterte. Als er begann, mit dem Zeigefinger auf das schwarze Gehäuse der Videokassette zu trommeln, warf ihm eine ältere Frau von der anderen Seite des Zimmers einen gereizten Blick zu.
    »Mr. Walker?«, rief die zierliche Sprechstundenhilfe hinter der Glasscheibe. Er war an der Reihe. Dad stand auf, doch dann wirkte er plötzlich wieder richtig erschöpft. Mum und ich wussten, wohin das führen konnte. Er versuchte, sich zu fassen, und atmete ein paarmal tief die abgestandene Wartezimmerluft ein, um das Schlimmste zu verhindern, doch es war zu spät. Die Kraft schwand aus seinen Beinen wie ein Tischtuch, das man unter einem Festmahl wegreißt. Dad krachte auf den Boden. Sein Kopf verfehlte nur um Haaresbreite die Kante eines Holztischs und knallte mit einem harten, dumpfen Schlag auf den Teppich. Mum ging in die Knie, um seinen Kopf hochzuhalten, und eine Sekunde lang sahen sie aus, wie ich sie immer hatte sehen wollen: wie ein Team.
    Im Wartezimmer brach das Chaos aus. Alle zehn Patienten sprangen auf und scharten sich um Dad, Mum und mich; Panik hatte den Raum ergriffen.
    »Bitte, gehen Sie doch bitte einfach alle weg«, flehte ich. Ich hasste diese Situation, ich fand sie so demütigend. Und sie machte mir Angst. Ich war es nur allzu sehr gewöhnt, neugierige Menschenmengen von Dads reglosem Körper wegzuscheuchen, wenn er irgendwo in der Öffentlichkeit auf dem staubigen Boden lag.
    »Er sieht nicht gut aus«, stellte eine aufdringliche Frau fest. Es war die, die ihm eben noch den geringschätzigen Blick zugeworfen hatte. Dann rückte sie ihre rote Brille zurecht, damit sie besser sehen konnte.
    »Er hat einen Anfall!«, brüllte jemand anders so laut, dass selbst eine schwerhörige alte Dame in der Ecke des Wartezimmers zusammenzuckte.
    Jemand kam mit einem Glas voll kaltem Wasser und einem Schokoladenkeks und wartete zögerlich im Hintergrund.
    »Gut, das reicht!«, schrie Mum. Ihre Stimme durchschnitt die Hysterie im Wartezimmer wie ein Messer. Das hektische Durcheinanderreden kam zum Stillstand. Plötzlich begann Mum zu weinen. »Hören Sie, das ist mein Mann!«, heulte sie. Ich zupfte an ihrem Arm, damit sie aufhörte, denn mir war klar, dass ein größerer Zusammenbruch bevorstand. Selbst die Leute am Empfang reckten die Hälse und drängten sich an das kleine Fenster, um alles sehen zu können; ihre Dienstausweise klapperten gegen die Scheibe. Das Ganze war wie ein

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