Eine Ahnung vom Anfang
zur Villa hinaufgingen, beide in hellen Sommerkleidern, vierzehn- oder fünfzehnjährig, und ohne zu merken, dass wir ihnen zuschauten, so vertieft waren sie in ihr Gespräch. Er sagte, es seien seine Nichten, und so wie er es betonte, kam es mir wie ein Fremdwort vor, und aus der Beobachterposition, in der wir uns befanden, tatsächlich wie etwas Anstößiges, das es nur in schwülstigen Weichzeichner-Filmen über das Frühlingserwachen junger Mädchen gibt. Dann schwieg er, und als ich schon dachte, er werde über meine Frage einfach hinweggehen, wandte er sich plötzlich doch an mich.
»Mit dem Reverend?«
Er sah mich mit einem ironisch besorgten Blick an.
»Wie kommst du darauf?«
»Na ja«, sagte ich. »Angeblich glaubt der Reverend, dass dieses Jahr das Jahr ist, in dem in Israel der Entscheidungskampf bevorsteht.«
Ich wusste nicht, warum ich den Unfug überhaupt aussprach, und genierte mich, noch bevor er gereizt erwiderte, ob er mir verraten solle, was der Reverend sonst noch alles glaube. Er brachte mich damit in die Rolle eines Befürworters, der ich nicht war, und als ich das aufklären wollte, machte ich es nur schlimmer. Er fiel mir ins Wort und sagte, er sehe nicht ein, sich mit solchen Hirngespinsten herumschlagen zu müssen, und es sei am besten, sich gar nicht damit zu beschäftigen.
»Sag bloß, du gibst etwas darauf, was der Reverend glaubt. Er glaubt, es ist wissenschaftlich erwiesen, dass ein Mensch drei Tage im Bauch eines Wals überleben kann. Selbstverständlich glaubt er an Adam und Eva und dass man von Oralsex Krebs und Haarausfall bekommt. Er glaubt noch eine ganze Menge anderer Dinge, die du lieber nicht hören willst.«
»Ich weiß«, sagte ich kleinlaut, weil ich mich von ihm so sehr in die Defensive gedrängt fühlte. »Um so schlimmer, dass die Bombendrohungen seinen Geist atmen.«
»Ach was«, sagte er. »Für das ›Kehret um!‹ braucht es keinen Reverend. Du findest überall Zustimmung, dass es so mit der Welt nicht mehr weitergehen kann und sie auf ihr Ende zutreibt, wenn sich nicht grundlegend etwas ändert. Du musst nicht einmal ein konkretes Unbehagen äußern. Wer würde dir da schon widersprechen?«
»Aber ist eine Bombendrohung nicht etwas anderes?«
»Was soll sie anderes sein, zumindest eine in diesem Stil?«
»Immerhin ist sie die Ankündigung einer Tat. Sie sagt, dass bald etwas geschehen wird, und nimmt dieses Geschehen vorweg. Es sind nicht mehr nur Worte. Das ist doch ein Unterschied.«
»Solange es bei der Drohung bleibt, ist sie nichts anderes als das, was du jeden Tag an den Stammtischen hören kannst«, sagte er. »Du musst nur einmal an die richtigen Orte gehen und dir erzählen lassen, wer alles an die Wand gestellt gehört oder wessen Kopf in einen Kübel Scheiße gesteckt werden soll, um von den exklusiveren Feinheiten erst gar nicht zu reden.«
So kämpferisch kannte ich ihn nicht, aber als er noch einmal anfing, das habe alles nichts mit Daniel zu tun, neigte ich dazu, ihm zuzustimmen. Er sagte, auch das mit Israel dürfe man nicht überbewerten, es sei einfach seine Liebe zum Land gewesen, die ihn hingezogen habe, seit er mit Herrn Bleichert zum ersten Mal dort gewesen war, und er habe immer gesagt, wenn es irgendwann einmal keinen Ort mehr auf der Welt für ihn gebe, könne er zuletzt noch ins Heilige Land gehen oder, wie er sich dann merkwürdigerweise ausgedrückt habe, nach Judäa oder Samaria, geradeso, als versetzte er sich in die Gedanken eines Siedlers, der ohne jedes Recht, aber mit Verweis auf die Bibel die fremden Gebiete für sich in Anspruch nahm. Als er nach unserem Sommer am Fluss die paar Monate in Jerusalem verbrachte, hatte Christoph ihn besucht, und was er mir davon erzählte, erklärte einiges. Ich hatte Daniels Vorliebe für die Wüste immer für einen Spleen gehalten, bestenfalls für einen von seinen Versuchen, sich interessant zu machen, und wurde jetzt daran erinnert, dass sie für ihn der Ort auf der Welt war, an dem man am weitesten aus der Welt hinausgehen konnte und wo Weitergehen in die einmal eingeschlagene Richtung und Umkehr in eins fielen.
Die beiden waren zwei Wochen lang im Land herumgefahren, und ich weiß noch, wie Christoph sagte, Daniel habe die Orte am Anfang nach ihren Namen und ihrem Vorkommen in der Bibel ausgesucht und dann mehr und mehr danach, dass sie keinen Namen hatten.
»Wenn man mit den falschen Erwartungen dorthin kommt, gibt es kaum trostlosere Orte auf der Welt als die Orte, an denen
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