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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Jesus seine Wunder gewirkt hat«, sagte er. »Kennst du den Witz, dass seine Wiederkehr allein deshalb ausgeschlossen ist, weil es ihm nach dem ersten Mal gereicht hat und er sich einen Aufenthalt in dieser gottverlassenen Landschaft kein zweites Mal antun will?«
    Es war genau das, was Palästinareisende beklagten, seit es diese Spezies gab, die Kreuzritter vielleicht ausgenommen, und sowenig ich an der Triftigkeit seiner Beobachtungen zweifelte, so wenig verstand ich, warum er sich derart hineinsteigerte.
    »Selbst Nazareth. Was glaubst du, was das heute anderes ist als eine heruntergekommene, laute Araberstadt mit ein paar grotesk geschmacklosen Kirchen? Selbst Bethlehem.«
    Das fand ich alles nur mühsam und sagte, diese Enttäuschung erlebe man doch mit jedem Buch, wenn man versuche, es mit der Wirklichkeit abzugleichen, und nicht nur mit der Bibel. Ich erinnerte mich an die paar Briefe, die Robert aus Amerika geschrieben hatte, und sein unterschwelliges Bedauern, dass er in St. Louis nichts von dem St. Louis seiner Indianergeschichten vorgefunden habe und dass es nicht einmal der Mississippi, mochte er noch so groß und weit sein, mit dem Mississippi seiner Kindheit aufnehmen könne. Es bedurfte für mich keiner Worte, das war das Glück und das Unglück des Lesers.
    »Du willst doch nicht behaupten, Daniel ist mit Vorstellungen von einer Weihnachtskrippe und Winterträumen im Kopf in Israel herumgefahren«, sagte ich dennoch, weil ich mich ärgerte, dass ich mich überhaupt auf das Gespräch eingelassen hatte. »Er mag vielleicht naiv gewesen sein, aber so naiv nun auch wieder nicht.«
    »Trotzdem hat er diese Sehnsucht gehabt.«
    »Welche Sehnsucht denn, bitte?«
    »Die Sehnsucht, ergriffen zu sein.«
    Ich lachte unbehaglich, aber Christoph ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und sagte, einmal sei er es sogar gewesen, tatsächlich ein einziges Mal auf der ganzen Reise, und zwar ausgerechnet in Hebron, wo er unbedingt das Patriarchengrab habe besuchen wollen.
    »Es mochte daran liegen, dass dort die Erinnerung an das Massaker vor drei Jahren noch so wach gewesen ist, aber auch daran, dass wir uns an den beiden Eingängen haben deklarieren müssen«, sagte er. »Ich erinnere mich noch genau, wie Daniel sowohl vor den jüdischen als auch vor den muslimischen Wachen gesagt hat, er sei Christ, und wie das etwas Peinliches, aber gleichzeitig auch Feierliches für ihn war.«
    »Und was war mit dir?«
    »Ich habe ihnen gesagt, dass ich nichts bin. Weder Jude noch Moslem, noch Christ, und auch alles andere nicht. Es ist nicht das Schlechteste, wenn man die Wahl hat und sie ausschlägt.«
    »Haben sie nicht darauf bestanden, dass du etwas bist?«
    »Nein«, sagte er. »›Nichts‹ war gut genug.«
    Sie hatten sich zuerst den jüdischen Gebetsraum mit einer Schulklasse geteilt und waren dann ganz allein in der Moschee und starrten auf die düsteren Kenotaphe, als ein Wärter lautlos von hinten auf sie zutrat.
    »Wir haben ihn beim Hereinkommen nicht bemerkt, und als er jetzt auf das rechte Grabmal zeigte und Isaak sagte, mit einem deutlichen Absetzen zwischen den beiden ›a‹, und auf das linke Grabmal zeigte und Rebekka sagte, in seiner arabischen Aussprache, und sich ohne ein weiteres Wort wieder in seine Nische zurückzog, ist Daniel wie vom Blitz getroffen dagestanden.«
    »Wie vom Blitz getroffen?«
    Ich sah Christoph mit einem spöttischen Lächeln an.
    »Mich würde interessieren, wie sich das anfühlt.«
    »Ich habe gesehen, wie im ersten Augenblick der Schreck in ihn gefahren ist, dann aber gleich die Freude«, sagte er. »Anders kann ich es leider nicht ausdrücken.«
    Schon bei Daniels Berichten nach seiner ersten Israel-Reise hatte ich gemerkt, als was für eine zweischneidige Erfahrung er es empfand, gewissermaßen in der Bibel herumspazieren zu können. Er nahm es einerseits als etwas ganz und gar Vertrautes wahr, als wäre er endlich nach Hause gekommen, weil ihm die Namen bekannt waren, und als würde sich das »Kinder Israels« ebenso auf ihn beziehen wie auf jeden Itzig aus New York, der plötzlich in der Gegend von Jericho seine wahre Heimat entdeckte, wie der Reverend nicht ganz koscher und tatsächlich feindselig gesagt hatte, und war andererseits doch enttäuscht. Das Unerreichbare wurde für ihn auf einmal erreichbar, und genau das schien mir sein Problem. Er konnte die Mauern von Jerusalem durch das Jaffator, das Damaskustor oder durch das Löwentor betreten, durch das Jesus sie in seinen

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