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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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damals mit seinen Verrücktheiten bis ins Haus des Bürgermeisters vorgedrungen sei.
    »Schon möglich, aber was willst du damit sagen?«
    »Ich frage mich, ob Herr Oswald das Buch von ihm hat.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte er, als wäre es ihm unangenehm, damit konfrontiert zu werden. »Zwar ist es bei uns nur schwer zu bekommen, aber er hat natürlich seine Kanäle.«
    Ich erkundigte mich, ob er es gelesen habe, aber er schüttelte den Kopf und hatte plötzlich einen wehmütigen Ausdruck in den Augen.
    »Manon beschäftigt sich gerade damit. Unter den Parteifreunden ihres Vaters kursiert es als eine Art Bibel, aber niemand nimmt sich die Zeit, es auch wirklich zu studieren. Deshalb hat er sie gebeten, es für ihn zu tun und ihm zu sagen, was drinsteht.«
    »Und?«
    »Ich glaube, es ist ein ausgemachter Schmarren. Eine von Grund auf verlogene Schwarzweißmalerei, wie sie nur aus Amerika kommen kann, obwohl die Autorin, soviel ich weiß, ursprünglich aus Russland stammt. Es lohnt sich gar nicht, darüber zu reden.«
    »Doch, doch«, sagte ich. »Du hast mich neugierig gemacht.«
    Er sah mich irritiert an und schien zu überlegen, ob ich es ernst meinte oder ob ich ihn nur auf den Arm nehmen wolle, und ließ sich dann nicht länger bitten.
    »Es handelt von einer Gruppe von Leuten, die denken, dass es so nicht mehr weitergehen kann, und sich entscheiden, in Streik zu treten. Sie glauben, dass die Gesellschaft ihre Verdienste nicht ausreichend würdigt, und ziehen sich aus allem zurück. Sie sind überzeugt, dass die Welt, von ihnen allein gelassen, in kurzer Zeit am Ende ist.«
    »Das klingt ja wie eine Strafaktion«, sagte ich. »Aber wohin wollen sie sich denn zurückziehen? Die Welt ist überall. Auf einen anderen Stern?«
    Ich musste an den Reverend denken, der gesagt hatte, dass immer mehr Leute in den Wald gingen, aber bevor ich das erwähnen konnte, antwortete Christoph schon.
    »Nein«, sagte er. »Irgendwo ins Gebirge.«
    »Und nach ihnen die Sintflut?«
    »Ja, ein großes Reinemachen.«
    »Aber welche Leute?«
    »Die das Ganze in Gang halten oder es jedenfalls von sich glauben«, sagte er. »Unternehmer, Angestellte in führenden Positionen, Manager. Solche Leute. Wie sagt man gleich?«
    »Die Elite«, sagte ich müde. »Meinst du das?«
    »Ich habe keine Ahnung, wer sonst noch mit von der Partie sein soll«, sagte er, ohne darauf einzugehen und offensichtlich schon belustigt über die Vorstellung. »Aber für den einen oder anderen Fernsehkoch, den einen oder anderen Starfriseur, den einen oder anderen Fitnesstrainer und das eine oder andere missratene Töchterchen wird es sicher Platz genug geben.«
    Ich wollte das Wort aussprechen, aber er kam mir zuvor.
    »Alles in allem die ›Pöschten‹ also, würde ich sagen.«
    So wie er es sagte, hätten es Außerirdische sein können, Mutanten aus einem Science-fiction-Film, vielleicht mit menschlichem Antlitz, aber mit ganz anderen Antennen und Verdrahtungen, als Normalsterbliche sie haben. Es war ihm anzusehen, wie glücklich es ihn machte. Er genoss es richtig, und wenn er sich gerade noch beherrscht hatte, kannte er jetzt kein Halten mehr und prustete, sich immer wieder vor Lachen unterbrechend und nach Luft ringend, los.
    »Stell dir vor, die ›Pöschten‹ ziehen sich aus allem zurück. Sie lassen uns arme Schlucker allein auf der Welt. Die ›Pöschten‹ schießen sich selbst auf den Mond.«
    Es klang tatsächlich nicht gerade, als ob er gerettet wäre. Er schien plötzlich in einer überdreht ausgelassenen, regelrecht hysterisierten Stimmung, und während er sich weiter erheiterte, fiel mir auf, dass er nach fast jedem Lachen zur Villa hinüberschaute, was meinem anfänglichen Verdacht, von dort beobachtet zu werden, nur neue Nahrung gab. Seine Auflehnung hatte etwas von der Auflehnung eines Kindes, das, berauscht von der Macht der eigenen Worte, im selben Augenblick auch schon die Strafe fürchtet. Ich wusste nicht, wofür er sich schadlos hielt, aber wenn ich eine Bestätigung gebraucht hätte, dass es wahrscheinlich nicht einfach war, der Schwiegersohn eines »Pöschten« zu sein und direkt unter seinen Augen zu gedeihen und sich zu vermehren oder vielleicht auch nur Daumen zu drehen, erhielt ich sie damit. Indes schwieg ich in dem beklemmenden Gefühl, einen Verdacht gegen ihn zu haben, den ich gar nicht haben wollte, und vielleicht ruderte er deswegen zurück und sagte von einem Augenblick auf den anderen, ich solle nur keine falschen

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