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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Schlüsse ziehen, er sei alles in allem glücklich und könne nicht klagen. Ich beruhigte ihn, er brauche sich keine Sorgen zu machen, und als er dann auch noch mit der Erklärung kam, es sei nur deswegen mit ihm durchgegangen, weil er sich an unseren Sommer damals erinnert habe, und mich entschuldigend ansah, als würde er von einer unverzeihlichen Verirrung sprechen, fing er sich schnell wieder, und der Abstand, den es zwischen uns gab und den es immer schon gegeben hatte, war von neuem hergestellt.
    Dass ich auch Herrn Oswald selbst treffen würde, hatte ich nicht erwartet. Seit seinem Auftritt in meiner Sprechstunde hatte ich ihn nicht mehr gesehen, aber wie er jetzt auf dem Weg von der Villa daherkam und auf uns zuhielt, war es zu spät, mich zu empfehlen und der Begegnung auszuweichen. Ich hatte ihn als größeren, kräftigeren Mann in Erinnerung, was wohl auch daran lag, dass ich damals gesessen war und er stehend auf mich eingeredet hatte. Er näherte sich mit schnellen Schritten, nahm die letzten Stufen mit Schwung, streckte mir von weitem die Hand hin und setzte sich unaufgefordert. Er erinnerte sich offensichtlich an mich, brachte es aber gleichzeitig fertig, so zu tun, als würde er sich der Umstände, unter denen wir uns kennengelernt hatten, gerade nicht entsinnen. Statt dessen strotzte er vor Umgänglichkeit, obwohl er nicht mehr den Dialekt sprach, mit dem er mich einzuschüchtern versucht hatte, sondern dieses singende, servile Kellner- und Dienstboten-Deutsch, in das in unserer Gegend noch die gröbsten Kerle von einem Augenblick auf den anderen verfallen können, wenn sie es für opportun halten, und das einen ob seiner Unterwürfigkeit wünschen lässt, sie möchten doch lieber wieder aus voller Brust lospoltern. Ich hatte sein Bild auf dem Herweg an fast jeder Straßenecke plakatiert gefunden, und angesichts des Glanzes und der Buntheit der Kopien war es wahrscheinlich unausweichlich, dass mir das Original ein wenig blass und farblos erschien. Er wurde als der Beste für die Stadt beworben, und ich musste nur daran denken, wie Christoph das Wort gerade noch verballhornt hatte, dass mich das zum Lachen reizte.
    Dabei war mir lange nicht klar, worauf Herr Oswald hinauswollte. Eine Weile sah es ganz danach aus, als wäre er tatsächlich nur gekommen, um Smalltalk zu führen, vielleicht auch im Hinblick auf die anstehenden Wahlen, und als er schließlich auf Daniel zu sprechen kam, dachte ich zuerst, es sei nichts anderes als das, und war überrascht, als ich feststellte, dass er ihn tatsächlich kannte. Er sagte, das mit dem Jungen sei traurig, und zweifelte offensichtlich nicht, dass Daniel für die beiden Bombendrohungen verantwortlich war. Ich hielt es für das übliche Gerede und hielt es auch noch für Gerede, als Herr Oswald klagte, wie schade es um ihn sei, er sei ihm klug und aufgeschlossen erschienen und hätte sicher eine große Zukunft gehabt, wenn es nur jemandem gelungen wäre, ihn von seinen religiösen Spinnereien abzubringen.
    Ich glaubte, mich verhört zu haben, als er dann sagte, es sei ja auch kein Wunder, dass seine Tochter zuerst in Daniel verliebt gewesen sei. Dabei warf er einen Blick auf Christoph, wie um sich zu vergewissern, dass er damit nicht zuweit ging, aber gleichzeitig ließ er keinen Zweifel, dass er sich das auf seinem Grund und Boden herausnehmen konnte. Er sagte es wie etwas, das gesagt werden musste, wenn er Daniel gerecht werden wollte, und alles andere wäre falsche Rücksichtnahme.
    Dass Christoph mir leid tat, kann ich nicht behaupten, aber ich sah ihn bestürzt an, während Herr Oswald seinen Arm tätschelte und an mich gewandt fortfuhr, es sei nun einmal so im Leben, dass man sich mit dem Zweitbesten bescheide, wenn man das Beste nicht bekommen könne. Ich habe die Situation noch genau in Erinnerung. Er bemühte sich gar nicht, das besonders ironisch klingen zu lassen, oder seine Ironie hatte sich schon abgenützt, weil es nicht das erste Mal war, dass er dieses Spiel spielte, ja, es schien ihm gar nicht bewusst zu sein, was für eine Ungeheuerlichkeit er sich da erlaubte.
    »Der Bub hat schon etwas Besonderes gehabt«, fing er noch einmal an. »Ich erinnere mich, wie er zu mir gekommen ist und mich gefragt hat, was aus meiner Kindheit ich am meisten vermisse.«
    Ich hatte bereits vergessen, dass Daniel auch ihn an seiner Umfrage beteiligt hatte, aber es war natürlich naheliegend.
    »Er war gerade aus Israel zurück und vielleicht ein bisschen

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