Eine Ahnung vom Anfang
die Hunde ginge und an meinem Vor-die-Hunde-Gehen auch noch auf groteske Weise Gefallen fände, so selbstverliebt sei ich und so verliebt in den Verlust. Gewiss, es brauchte nicht viel, um auf die Idee zu verfallen, dass ich mich bestrafte, dass ich mir eine Buße für ein nicht greifbares Vergehen auferlegt hatte, alles ebenso naheliegend wie falsch, ebenso an den Haaren herbeigezogen wie richtig, aber ich wollte es in dieser Schlichtheit nicht hören, und schon gar nicht von ihr. Deshalb hatte ich gesagt, das sei unter ihrer Würde, und sie hatte seither kein Wort mehr darüber verloren, aber ich machte mir nichts vor, für ein nächstes oder übernächstes Mal hätte ich wahrscheinlich keine Garantie mehr, davon verschont zu bleiben.
Gleich nach dem Aufstehen fuhr sie weg, und ich weiß nicht, ob ich das überinterpretiere, aber als ich dann Daniel beim Frühstück gegenübersaß, glaubte ich, in seiner Haltung etwas Triumphierendes wahrzunehmen. Er war in seinem Bett gelegen, als ich in der Nacht zu ihm hinübergegangen war, die Augen weit offen, und hatte einen Finger auf die Lippen gepresst, und jetzt schien er vom Bewusstsein eines unausgesprochenen Einverständnisses getragen und schmierte mit einer Behaglichkeit Butter auf seine Semmel, die ganz gegen seine sonstige Gewohnheit ging, ein paar Tropfen Milch über ein Häufchen Cornflakes zu sprenkeln und sie eilig neben dem Kühlschrank zu verschlingen. Er hatte die Zeitung geholt und Kaffee gemacht und wartete auf mich, nahm frisch geduscht, gekämmt und dem äußeren Anschein nach bart- und flaumlos wie ein Firmling den Platz ein, den sonst Barbara eingenommen hatte, und strahlte mich an, als wüsste er schon, was mir erst in den folgenden Wochen klarwerden sollte, nämlich dass sie ihre Drohung wahrmachen und nie mehr wiederkommen würde.
Vier oder fünf Monate später war sie im Fernsehen, und er wies mich darauf hin. Es gibt Themen, bei denen sie seither in kaum einer Diskussionsrunde fehlt, aber das war das erste Mal in diesem Rahmen, und ich hasste es, mit ihm dazusitzen und zuzusehen, wie sie sich schlug, hasste es, dass er sie genauso betrachten konnte wie ich, ja, ich hasste ihn an diesem Tag, ich kann es nicht anders sagen, und nicht nur weil ich wusste, dass sein Urteil über sie abfällig war, weil er nicht anerkannte, wie klug sie argumentierte und wie jung und frisch sie mit ihrer Zurückhaltung unter all den Dauerrednern wirkte. Augenblicklich erinnerte ich mich wieder, wie sie einmal gesagt hatte, sie wisse nicht, welche Probleme er sonst noch habe, aber er habe auf jeden Fall ein Problem mit den Frauen, und obwohl sie einen Hosenanzug trug, wurde ich neben ihm sitzend nicht das Gefühl los, er starre sie auf eine unangenehm taxierende Weise an. Ich hatte es stillschweigend hingenommen, dass er sich mitten in der Nacht über unser Bett gebeugt hatte, wo sie seinen Blicken ausgeliefert dagelegen war, und hätte mich jetzt auf ihn stürzen können. Unfähig, auf ein anderes Programm zu schalten, verharrte ich vor dem Bildschirm, buchstäblich ins Herz getroffen von ihrer plötzlichen Anwesenheit und dem ebenso plötzlichen Bewusstsein ihrer Abwesenheit, und konnte sie selbst nur anblicken, konnte selbst nur mit offenem Mund staunen, dass es dieselbe Frau war, dasselbe Lächeln, dieselben Augen, dieselbe Art, den Kopf zur Seite zu legen, wenn sie lauschte. Ihr heiseres Ein- und Ausatmen, wenn sie eine Pause machte, war für mich immer eine Eigenheit von ihr gewesen, aber jetzt klang es wie ein Markenzeichen, das sie für den öffentlichen Auftritt kultiviert hatte, und ich schielte zu ihm hinüber, ob er es auch hörte. Ich sah, wie sie über die Dummheit eines Gesprächspartners die Augen verdrehte, und fürchtete, er könnte ihr Gesicht sehen, wie ich es gesehen hatte, die Pupillen nach oben verrutscht, tot und leer wie eine Maske.
An den Titel der Sendung erinnere ich mich nicht mehr, aber sie handelte von der zunehmenden Kriminalität bei Jugendlichen, und es ist nur bezeichnend, dass Daniel wieder diesen aggressiven Gestus hervorkehrte und immer, wenn sie etwas sagte, zu verstehen gab, dass sie seiner Meinung nach keine Ahnung habe. Ich hatte Mühe, dem Gespräch zu folgen, und ich wusste nicht, ob ich ihm glauben sollte, wenn er am Ende behauptete, sie habe über ihn gesprochen, über ihn und über mich. Zwar hatte sie tatsächlich gesagt, es gebe zu viele Lehrer, bei denen das Bild des braven, gehorsamen Schülers in Verruf geraten sei,
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