Eine Ahnung vom Anfang
würde im Inneren auf ein einziges Durcheinander stoßen, alles auf den Kopf gestellt oder Schmierereien an den Wänden, wie schon einmal, konnte aber kaum eine Veränderung feststellen. Das Bett war benützt, die Wolldecke zurückgeschlagen und Leintuch und Tuchent darunter zerknäult, als hätte darin nicht jemand geschlafen, sondern einen Kampf auf Leben und Tod ausgetragen, und auf dem Tisch fand ich eine leere Weinflasche und daran gelehnt ein Stück Pappe mit einem spitz hingekritzelten »Danke«. Das war an einem der letzten Tage, bevor das Wetter umschlug, und bald darauf fiel auch schon der erste Schnee, und ich verbrachte noch einen Nachmittag damit, die notwendigsten Vorkehrungen für den Winter zu treffen. Ich suchte das Dach auf undichte Stellen ab, nagelte die Fensterläden zu, sicherte die Tür mit einem zusätzlichen Vorhängeschloss und fuhr dann nur mehr zwei- oder dreimal hinaus an den Fluss, ohne jedoch länger zu bleiben als ein paar Minuten.
5
Um mich zu erinnern, dass ich die Geschichte mit dem Reverend von Anfang an für eine Groteske hielt und sie nicht weiter ernst nahm, muss ich mir nur vergegenwärtigen, was er alles glaubte. Es begann mit der wörtlichen Auslegung der Bibel, vom Schöpfungsbericht bis zur Offenbarung des Johannes, von der Jungfrauengeburt bis zur leiblichen Auferstehung nach dem Kreuzestod, und das Wichtigste war, in einer Endzeit zu leben und die Wiederkehr Christi mit eigenen Augen anschauen zu können. Davor würden noch die letzten ausstehenden Prophezeiungen erfüllt, und die richteten sich neben allerlei himmlischem Geschehen besonders auf die Wiederherstellung des Volkes Israel in Palästina, wie es ein wenig ungelenk hieß, und die Wiedererrichtung des Tempels in Jerusalem.
Ich hatte Daniel am Morgen, nachdem ich sein Manuskript gelesen hatte, danach gefragt, und was er erzählte, gab mir Einblick in eine Welt, die einerseits ganz und gar phantastisch sein mochte, andererseits aber doch realer war, als ich mir vorstellen wollte.
»Selbstverständlich hat es für den Reverend keinen Zweifel gegeben, wo die letzten endzeitlichen Ereignisse stattfinden werden«, sagte er. »Er hat zwar immer betont, dass der Kampf um Jerusalem nicht in Jerusalem ausgetragen wird, aber das hat ihn nicht daran gehindert, nach den drei Sommern im Dorf im Sommer darauf dorthin zu gehen, um dem Heilsgeschehen näher zu sein.«
Auffallend war, wie sehr religiöse Mythen und aktuelle Politik durcheinandergingen, ließ sich nach diesem Denken doch alles, was in Israel seit Gründung des Staates geschah, als Teil der Erfüllung ansehen.
»Wenn man das hinnimmt, ist es allein schon deshalb schwer zu sagen, was dort falsch und was richtig ist, weil sich das Falsche jederzeit auch als richtig herausstellen kann, solange es für den Herrn den Weg bereitet und sein Kommen beschleunigt.«
»Das gilt auch für die Kriege?«
»Besonders für die. Denn es heißt, dass eine große Drangsal herrschen wird, bevor das tausendjährige Gottesreich anbricht. Also sind sie geradezu eine Voraussetzung dafür.«
Ich hatte den Eindruck, Daniel spreche mit anderer Stimme als sonst. Einerseits war er leiser, klang es höher, aber das allein meine ich nicht, es war ein fortwährendes Schwanken, ein Zittern, als gäbe es Aussetzer zwischen den einzelnen Silben, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn er von einem Wort zum anderen verstummt wäre. Er schien in sich hineinzulauschen, und ich fragte mich, ob es damit zu tun hatte, dass er das, was er sagte, selber so ungeheuerlich fand.
»Die Kriege ein Zeichen für den baldigen Frieden?«
»Wenn du so willst.«
»Die Verbrechen ein Zeichen für Gnade?«
»So kann man es sagen.«
»Die schlechten Zeiten in Wirklichkeit gute?«
Ich hatte mich auf das Spiel eingelassen, und er behandelte mich wie einen allzu gelehrigen Schüler, der dabei war, sich die Finger zu verbrennen, kaum dass er das Feuer entdeckt hatte. Er war noch nicht unter der Dusche gewesen und ungekämmt und unrasiert, in Unterhose und Hemd in die Küche gekommen, was mir nicht weiter auffiel, in der Erinnerung aber ein bestimmender Teil der Situation ist. Da scheint es mir nämlich, als hätten wir dieses Gespräch nur so führen können, er noch halb unausgeschlafen, in diesem unfertigen Zustand und ich von ihm überrumpelt und zuerst weniger neugierig als höflich, dann einfach nur neugierig, und ob höflich oder unhöflich, war nicht mehr die Frage. Ich übersah lange, dass er mich
Weitere Kostenlose Bücher