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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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reden ließ, als wollte er herausfinden, wie weit ich gehen würde, bis ich auf sein Lächeln aufmerksam wurde. Es war wohlwollend und gönnerhaft zugleich, und so wie er mich betrachtete, umgekehrt auf seinem Stuhl sitzend, beide Hände auf die Lehne gelegt und das Kinn darauf gestützt, kam es mir vor wie eine Demonstration seiner Überlegenheit.
    »Das Problem ist nur die letzte Stufe in dem ganzen Konstrukt«, sagte er schließlich. »Sie sieht die Bekehrung der Juden zum einzig wahren Glauben vor oder, wenn sie verstockt bleiben, ihre Vernichtung.«
    Er hatte selbst noch einmal eine Zeit in Israel verbracht, nicht gleich im Herbst nach unseren Wochen am Fluss, aber im Winter und Frühjahr darauf. Ich hatte gedacht, er würde mit Semesterbeginn zu studieren anfangen, aber je weiter der Sommer fortgeschritten war, um so unsicherer wurde sein Entschluss. Statt dessen erging er sich in tausend Ideen, wo überall er hinfahren könnte, und obwohl er mit seiner Sehnsucht nur immer wahlloser den Globus markierte, war klar, er würde sich ein Jahr schenken, wie er sagte, und erst einmal schauen, bevor er sich festlegte. Am Ende sollte es Marokko werden, eine bis ins Detail geplante Wanderung von einer Königsstadt zur anderen, mit einem Abstecher in die Wüste, aber in letzter Sekunde zerschlug sich alles, sei es, weil er Christoph nicht überreden konnte, ihn zu begleiten, sei es, weil es ohnehin nie mehr gewesen war als ein Hirngespinst. Da erinnerte er sich wieder, dass der Leiter des Österreichischen Hospizes in Jerusalem ihn eingeladen hatte, sich an ihn zu wenden, und er werde sehen, was sich machen lasse, vielleicht könne er ihm ein Praktikum oder eine befristete Stelle anbieten, wenn er noch einmal für ein paar Wochen in die Stadt kommen wolle. Dort war er damals bei der Osterreise durch das Heilige Land mit der Pilgergruppe für zwei oder drei Nächte untergebracht gewesen, und er dachte gern an das burgähnliche Gebäude direkt an der Via Dolorosa. Bei seinem ersten Aufenthalt war es ihm wie ein Zufluchtsort erschienen, hinter dessen Mauern er sich jederzeit zurückziehen konnte, wenn ihm der Trubel mit den Heils- und Ramschverkäufern auf dem Kreuzweg draußen zu anstrengend wurde und ein Apfelstrudel in dem Wiener Café, das es dort gab, wie die Rettung erschien.
    Über dieses zweite Mal in Jerusalem hatte er mir nie viel erzählt, und weil er sich immer kurz angebunden hielt, bemühte ich mich auch jetzt, nicht zu neugierig zu erscheinen. Ich hatte von einem Vorfall gehört, nach dem er das Österreichische Hospiz vorzeitig wieder hatte verlassen müssen, aber niemand wusste etwas Genaues, nicht einmal, welcher Art dieser Vorfall gewesen sein soll, und weil er sich auch in der Vergangenheit jede Nachfrage verbeten hatte, hütete ich mich, darauf zu sprechen zu kommen. So geheimniskrämerisch, wie er damit umging, wunderte mich ohnehin, dass er mir überhaupt antwortete, als ich wissen wollte, ob der Reverend ihm den Anstoß gegeben habe, sich noch einmal auf das Abenteuer einzulassen.
    »Du glaubst doch nicht, ich habe für meine Entscheidung sein Gerede gebraucht«, sagte er. »Das ist nichts als rhetorischer Leerlauf gewesen, mit dem er sich selbst aufgebaut hat.«
    Seine Distanzierung kam für mich um so überraschender, als er dann gleich davon sprach, dass er den Reverend in Jerusalem tatsächlich auch getroffen habe. Sie hätten sich mehrmals verabredet, und er sagte, dass er es nach dem ersten Mal vermieden habe, ihn in der Altstadt zu sehen, weil da nicht mit ihm zu reden gewesen sei. Deshalb habe er immer einen Treffpunkt irgendwo unter Leuten vorgeschlagen, die mit dem ganzen Glaubenskarneval nichts zu tun gehabt hatten, an einem Ort, wo sich die Stadt nicht von anderen Städten auf der Welt unterschied, in einem Café in der Jaffa-Straße oder in der Ben-Yehuda-Straße, möglichst in der Nähe von modernen Geschäften, wo man alles kaufen konnte, nur keine Devotionalien.
    »Dort hat er wenigstens für ein paar Minuten mit seinem Predigen und Missionieren aufgehört, während innerhalb der alten Stadtmauern der Eifer mit ihm durchgegangen und er lange nur deshalb nicht weiter aufgefallen ist, weil es genug andere gab, die das baldige Kommen des Herrn beschworen«, sagte er. »Er ist schon seit Ostern im Land gewesen, ohne seine Frau und die Mädchen, und es hatte wohl auch damit zu tun, dass er sich gehen ließ und innerhalb weniger Wochen kaum mehr wiederzuerkennen war.«
    Ich versuchte mir ein

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