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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Nachmittag mit dem großen Kombi ausgefahren waren, im Fond zwischen die Mädchen gezwängt wie zwei unbedarfte Kinder. Es ist müßig, von meiner Enttäuschung zu sprechen, müßig zu lamentieren, dass sie auch am Tag darauf ausblieben und dass es dann Daniel allein war, der mich noch das eine oder andere Mal besuchte, während Christoph sich überhaupt nicht mehr blicken ließ und ich auch in den Jahren danach, zwei oder drei zufällige und jedesmal unbehagliche Begegnungen und die Hochzeit von Judith ausgenommen, tatsächlich nichts von ihm gesehen habe und nichts gehört. Sie suchten jetzt den Reverend und seine Töchter auf, wie sie davor mich aufgesucht hatten, und wenn ich nachdachte, konnte ich nicht einmal klagen. Es waren die letzten Tage vor ihrer Rückkehr nach Amerika, sie nützten die Zeit, die sie hatten, und wenn Daniel sich eine halbe Stunde oder eine Stunde abrang und bei mir auftauchte, hatte es manchmal den Anschein einer Pflichtübung, und ich musste achtgeben, es nicht auszusprechen, weil ihn das wahrscheinlich ganz vertrieben hätte. Ich schob es selbst jeden Tag länger auf, zum Haus hinauszufahren, aber spätestens wenn es Mittag wurde, setzte ich mich ins Auto, beeilte mich, an meinen Platz zu kommen, um nichts zu versäumen, und saß dann bis in den späten Nachmittag in meinem Klappstuhl.
    Die Idee klingt widersinnig, der Reverend sei so weit gegangen, seine eigenen Töchter als Köder zu benützen, um mir die beiden Jungen abspenstig zu machen, auch wenn sich das in Daniels Manuskript nicht nur zwischen den Zeilen so liest. Wenn ich wollte, könnte ich spekulieren, ein unter den Augen des strengen Vaters geklauter Kuss, eine verstohlen in ein Höschen geschobene Hand und was der Versatzstücke mehr sind, aber es ist egal, ob es so war oder nicht, es hat keinen Sinn, sich Gedanken zu machen, und führt nur ins Melodramatische. Dass mich der Reverend nicht mochte, war nichts Neues für mich, beruhte, wie man so sagt, auf Gegenseitigkeit, aber dass sein Reden von der Verdammnis sich so direkt auf mich bezogen haben soll, überraschte mich dann doch. Natürlich erinnerte ich mich an sein Verdikt, der Kampf um Jerusalem sei ein Kampf um jeden einzelnen Menschen, aber dass er damit den Kampf um die beiden Jungen gemeint haben könnte und er es als seine Pflicht ansah, sie vor mir und meinem Einfluss in Sicherheit zu bringen, weil ich für sie das Verderben war und sie zu unaussprechlichen Sünden und einem Leben in Schimpf und Schande verführen würde, kam mir nicht nur der Formulierung wegen wie eine schlechte Erfindung vor.
    Ich hätte vielleicht energischer versuchen sollen, Daniel loszureißen oder ihm wenigstens eine Erklärung abzunötigen, aber ich weiß nicht, ob es viel geholfen hätte. Im nachhinein sagt sich das leicht, aber die Wahrheit ist, es waren wunderschöne Tage, morgens schon kalt und über Mittag noch mit dieser letzten Spätsommerwärme, die mich mit der ganzen Welt versöhnlich stimmte, und ich wusste mich abzulenken, als ich mich damit abgefunden hatte, dass auch er nur mehr selten zu Besuch kommen würde. Ich fing an, mir rund um das Haus Arbeiten zu suchen, ich steckte ein Beet für einen Garten ab und grub den Boden um, ob es die Jahreszeit dafür war oder nicht, ich bastelte ein Vogelhäuschen und befestigte es an einem Baum, ich hackte Brennholz oder gab mich sonst irgendwie beschäftigt, wenn er vorbeischaute, setzte mich eine halbe Stunde mit ihm vor den Eingang und machte einen Punkt daraus, ihn nicht zu fragen, wo er sich den ganzen Tag herumgetrieben hatte, sah zu, dass ich ihn spüren ließ, nur wenig Zeit für ihn zu haben, und wusste am Ende nichts Neues von ihm, wenn er wieder verschwand. Von außen betrachtet ähnelte das vielleicht den Sperenzchen eines Verliebten, aber es gab kein Außen, jedenfalls keines, das für mich eine Rolle gespielt hätte, und von innen betrachtete ich es nicht. Ich glaube nicht an Zeichen, und ich glaube auch nicht, dass es etwas anderes als ein Zufall war, aber es sei doch gesagt, dass ich an zwei Tagen hintereinander in der Nähe tote Tiere fand, einmal waren es die Überreste eines zerrissenen und halb aufgefressenen, halb verwesten Hasen, einmal eine wie unversehrt aus dem Himmel gestürzte Taube, die aussah, als könnte sie jederzeit davonfliegen, wenn sie nur wollte. Dann war ich beschäftigt, weil jemand über Nacht die Tür aufgebrochen hatte und ich das Schloss und die Angeln ersetzen musste. Ich dachte schon, ich

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