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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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anderen Kontinent, unter den Wilden, wenn es die noch gibt.«
    »Ich fürchte, nein.«
    »Unter den Gottlosen und Heiden.«
    »Ehrlich gesagt, glaube ich, nirgendwo auf der Welt«, sagte er. »Du bist einer der wenigen, bei denen es ihn nach wie vor reut, dass er keinen Erfolg gehabt hat.«
    Mir erschien das Gespräch nur um so absurder, als immer noch unausgesprochen zwischen uns stand, dass er sich selbst hatte retten lassen, und Judith mir den Ablauf unlängst in allen Einzelheiten geschildert hatte. Es war mir natürlich aufgefallen, dass er sich gleich bei seiner Ankunft nach ihr erkundigte, auch wenn er es noch so beiläufig tat und den Anschein erweckte, als würde er sich nicht weiter dafür interessieren, was ich sagte. Immerhin war es das erste Mal, er hatte sie bei keinem seiner Besuche davor auch nur erwähnt, und wenn ich etwas von ihr erzählte, ging er wortlos darüber hinweg oder machte eine nichtssagende Bemerkung und sah zu, dass wir das Thema wechselten. Das ergab sich diesmal auch deswegen anders, weil sie erst vor kurzem an die Schule zurückgekehrt war, um bei mir ihr Probejahr zu absolvieren, und er mitbekommen hatte, dass sie seit ein paar Wochen unter meiner Aufsicht unterrichtete. Darauf zielte seine Frage, wie sie sich mache, und ich versuchte, ihn mit der möglichst allgemeinen Antwort abzuspeisen, er kenne sie ja und wisse, dass sie alles, was sie anpacke, richtig anpacke und ich daher nicht klagen könne. Das quittierte er lachend, und als er dann sagte, ernüchternd an der Sache finde er nur, dass sie ausgerechnet Lehrerin geworden sei, eine mutlose Entscheidung bei den Träumen, die sie gehabt habe, ärgerte ich mich über seine Überheblichkeit, hielt mich aber zurück.
    Es war auch deshalb schwer zu ertragen, weil er in der Geschichte seiner Rettung, die sie mir erzählte, keine gute Figur machte und allen Grund gehabt hätte, ihr mit mehr Respekt zu begegnen. Ich ging gleich in der ersten Unterrichtswoche mit ihr aus, und wir sprachen natürlich über die alten Zeiten und darüber, was in der Nacht, die sie mit den beiden Jungen draußen am Fluss verbracht hatte, alles geschehen war. Nach dem Sommer damals hatte ich sie noch ein paar Mal gesehen und dann schnell aus den Augen verloren und nur über Dritte und Vierte gelegentlich etwas von ihr gehört. Immerhin wusste ich, dass ihr Kind von ihren Eltern aufgezogen wurde, und wenn sie alle vierzehn Tage zu Besuch kam, erfuhr ich manchmal davon, aber ich traf sie nicht mehr. Unser Verhältnis war nicht so, dass ich erwarten konnte, sie würde die Zeit aufbringen, sich bei mir zu melden, und daher saß sie mir halb wie das Mädchen, das sie gewesen war, halb wie eine Fremde gegenüber und konnte nicht glauben, dass sie die erste war, die mit mir darüber redete.
    Wir blieben die einzigen Gäste in dem Restaurant, wo ich einen Tisch reserviert hatte. Ich war nervös, weil ich nicht wusste, wie wir in der Situation miteinander umgehen würden, und wenn ich sie mit meiner Nervosität am Anfang vielleicht ansteckte, legte sie die schnell ab, und nichts an unserem Umgang ließ darauf schließen, dass wir einmal Lehrer und Schülerin gewesen waren. Es war noch nicht richtig Herbst, der Abend lau, und sie hatte dasselbe schlichte Kleid an wie in der Schule, ein weißes Trägerkleid mit blauen Punkten und einem Spitzensaum, aber ihr Haar, das sie für den Unterricht zusammenband, trug sie jetzt offen, und wenn sie ihren Kopf bewegte, wippten die Spitzen mit einer kleinen Verzögerung über den Schultern hin und her. Sie hatte ihre Zigaretten vor sich auf dem Tisch liegen, aber sie rauchte nicht, nahm nur einmal und später noch einmal eine heraus, behielt sie ein paar Augenblicke unangezündet zwischen den Lippen und steckte sie dann wieder zurück in die Schachtel. Dabei strahlte sie etwas paradox Unschuldiges aus, und sie lachte wie über sich selbst, schob die Packung weit von sich und sah mich, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf in den Händen, eine Weile an.
    »Ich verstehe nicht, dass Daniel dir nie etwas davon erzählt hat«, sagte sie. »Was glaubst du, warum ich ihn damals Jesus genannt habe?«
    Als ich nicht antwortete, fragte sie noch einmal.
    »Du weißt vielleicht, dass er sich hat retten lassen«, sagte sie dann. »Aber du hast keine Vorstellung von der Prozedur. Er hat den ganzen Firlefanz ohne Widerrede mitgemacht. Du wärest angeekelt gewesen, wenn du es gesehen hättest.«
    Bis dahin war unser Gespräch ruhig

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