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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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oder ob er damit schon in Verdacht gerate, ein Wüstling zu sein, aber ehe er einen Kontakt sonst irgendwie angebahnt hätte, wäre er wohl auf einem weißen Pferd angeritten oder hätte sich mit einem Strauß roter Rosen vor die Auserwählte hingeworfen.
    Ich hatte mir nie überlegt, ob auch ich Teil seiner Phantasmagorien war, aber als er an diesem Tag bei unserem Gespräch über den Reverend schließlich sagte, der sei übrigens immer noch überzeugt, dass wir ein Verhältnis gehabt hätten und dass vielleicht genau das seine Fixierung auf mich erkläre, konnte ich mir nichts mehr vormachen.
    »Es gibt schmutzigere Ausdrücke für das, was wir gehabt haben«, sagte ich möglichst gelassen. »Ich hoffe, du willst mir nicht drohen.«
    Bei seinen Besuchen in früheren Jahren waren wir fast immer auch auf den Sommer am Fluss zu sprechen gekommen, aber es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, er werfe mir etwas vor. Die Nostalgie, mit der er sich sonst daran erinnerte, war einer aufgekratzten Provokationslust gewichen, und wenn er am Abend davor noch von sich erzählt hatte, als stünde ihm die Zukunft offen, machte er jetzt den Eindruck, es gelinge ihm nicht aufzuhören, in seiner Vergangenheit herumzukramen und dort einen Grund zu suchen, ohne dass er genau zu sagen vermochte, wofür. Er probierte ein Lächeln, aber es verrutschte ihm, und ich fragte mich, ob es wirklich dieselbe Person war, der Achtzehnjährige, der sich über jeden Verdacht, es könnte etwas zwischen uns sein, lustig gemacht hätte, und der junge Mann, der mir gegenübersaß und selbst nicht zu wissen schien, dass er nur einen winzigen Schritt weiter gehen müsste, und es wäre ein Anfang, mich zu erpressen.
    »Davon kann natürlich keine Rede sein«, sagte er. »Ich würde nur gern von dir hören, was du damals von mir gewollt hast.«
    »Aber Daniel.«
    Seine Forschheit machte mit einem Schlag alles anders.
    »Wir haben zusammen Zeit verbracht.«
    So wie er auflachte, musste er wissen, dass er sich mit den Spaziergängern gemein machte, die uns von der Grundstücksgrenze aus beobachtet hatten und die er noch im nachhinein unerträgliche Maulaffen nannte.
    »Wir haben zusammen Zeit verbracht«, sagte er und bemühte sich vergeblich, nicht jede Silbe zu betonen. »Ist das alles?«
    »Ja«, sagte ich. »Was willst du sonst hören?«
    »Es muss doch einen Grund gegeben haben.«
    »Den kann ich dir gern verraten.«
    Ich ließ ihn meine Enttäuschung jetzt spüren.
    »Wir haben zusammen Zeit verbracht, weil es schön war«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was plötzlich falsch daran sein soll.«
    Dann fragte ich ihn, ob er Geld brauche, aber er schüttelte nur den Kopf, und als er sich erkundigte, ob ich sein Manuskript gelesen hätte, verneinte ich, obwohl ich ihn gerade noch selbst darauf hatte ansprechen wollen und obwohl es immer auffälliger wurde, dass ich mich darum herumdrückte. Ich sah, dass er mir nicht glaubte, aber ich blieb dabei und habe meine Haltung auch später nie geändert und die wenigen Male, die er noch bei mir zu Besuch war, seine Fragen danach abgeschmettert, bis ich den Eindruck hatte, meine schiere Nichtbeachtung müsse sein Geschreibe aus der Welt schaffen. Es gab allerdings einen Augenblick, in dem ich mich fast verplappert hätte, und das hatte damit zu tun, dass ich die Stelle in seinem Manuskript nicht aus dem Kopf bekam, an der er schrieb, ich hätte ihn in jenem Sommer manchmal angestarrt, als sähe ich meinen Bruder in ihm.
    Ich hatte die ganze Zeit erwartet, dass er mich auch danach fragen würde, und nicht nur Angst davor gehabt, sondern ihn schließlich fast dazu gebracht. Eine Sekunde gab ich nicht acht, als ich drauf und dran war, mich zu erkundigen, was er sich vorstelle, welches Buch die Tochter der amerikanischen Gastfamilie bei Roberts Begräbnis in das Grab geworfen habe. Immerhin hatte er die Szene ausführlich beschrieben, ohne dass er das aussprach, und das Problem war, dass ich nichts davon wissen konnte, wenn ich das Manuskript nicht gelesen hatte. Es war eine auffallende Leerstelle, wo er doch sonst in der Regel sehr frei damit umging und einfach etwas erfand, wenn er die Tatsachen nicht in Erfahrung zu bringen vermochte, und ich war ihm dankbar, dass er sich da zurückgehalten hatte, obwohl ich selbst wieder und wieder darüber nachdachte, welches Buch es wohl gewesen sein mochte. Das ging so weit, dass mir am Ende keines mehr recht war und ich mir immer eines mit leeren Seiten ausmalte.
    Die

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