Eine Ahnung vom Anfang
Misstimmung zwischen uns blieb, bis er ging. Er war bereits an der Tür, als ich ihn fragte, was er mit dem Manuskript anstellen wolle, und verschanzte sich hinter dem Spruch, den er schon einmal zum besten gegeben hatte, weltberühmt werden und reich und der Schwarm aller Frauen. Ich lachte, und als ich mich erkundigte, wie viele Exemplare es davon gebe, sagte er drei, eines für ihn selbst, eines für mich und eines für die Welt, wie er sich ausdrückte. Vielleicht täuschte ich mich, aber ich hatte den Eindruck, es schwinge wieder ein Hauch Drohung dabei mit, und als ich ihm viel Glück wünschte, klang es wie das Gegenteil, ohne dass ich das beabsichtigt hätte. Jedenfalls ließ sein Lächeln keinen Zweifel, dass er es so aufnahm, und obwohl er mir in dem Augenblick leid tat, war ich zum ersten Mal froh, ihn aus dem Haus zu haben, als er schließlich davontrottete.
Dritter Teil
DRAUSSEN
AM FLUSS
1
Ich hätte dem Direktor viel über Daniel erzählen können, aber nach dem Gespräch mit ihm war ich nicht mehr sicher, ob das zur Aufklärung oder doch eher zu noch größerer Verwirrung beitragen würde. Überrascht konnte ich nicht sein, von ihm zu hören, es gebe Leute, die den Jungen mit der Bombendrohung zusammenbrachten. Eher war es so, dass ich selbst von Anfang an die Möglichkeit in Betracht zog und es einfach nicht wahrhaben wollte. Dazu brauchte ich auch das Foto in der Zeitung nicht, ob es ihn nun darstellte oder nicht. Ich hatte die Nachricht gehört und mich sofort dagegen wehren müssen, nicht ihn vor Augen zu haben, und das allein war der Grund, warum ich ihn auf dem undeutlichen Bild zu erkennen glaubte.
Der Direktor hatte sich mit seinen Andeutungen über Daniel und mich einen bösen Scherz erlaubt. Ich ärgerte mich über meine Naivität, als ich sein Büro verließ, und noch mehr über seine Einladung, ihn später anzurufen, die er ausgesprochen hatte, als hätte er etwas gegen mich in der Hand und wollte mir ein Geständnis nahelegen. Das mochte nur eine besonders verquere Art sein, mir sein Vertrauen zu beweisen, aber um sicherzugehen, dass ich beim ersten Mal nicht etwas übersehen hatte, nahm ich mir vor, Daniels Manuskript noch einmal auf verborgene Spuren hin zu lesen, wenn ich nach Hause kam.
Die neuerliche Diskussion über Camus erinnerte mich an eine Diskussion, die ich in einer der ersten Wochen mit einem Kollegen in der Österreichischen Schule in Istanbul geführt hatte. Ich wusste, dass es Grenzen im Unterricht gab, wenn es um Politisches ging, und war bei Antritt meiner Stelle auch darauf vorbereitet worden, aber ich hatte ihn trotzdem in vorgeschobener Unschuld gefragt, was geschähe, wenn ich Die vierzig Tage des Musa Dagh von Werfel auf meine Leseliste setzte. Der Genozid an den Armeniern, der darin behandelt wurde, war für den türkischen Staat eines der heikelsten Themen überhaupt, aber ich wollte seine Einschätzung hören, und ich erinnere mich, wie er mir augenblicklich bedeutete, leiser zu sprechen. Flüsternd sagte er dann, man würde das als Kriegserklärung auffassen und der Schule die sofortige Schließung androhen und eigentlich müsste er meine Frage aus reinem Selbstschutz dem Co-Direktor melden, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten, sollte irgendwann herauskommen, dass er mit mir darüber gesprochen hatte. Er erzählte von einem Lehrer aus einem anderen Jahr, der nur das Wort »Kurdistan« in den Mund genommen habe und allein deswegen bis auf weiteres beurlaubt worden sei, und nahm mir das Versprechen ab, vor niemandem eine Silbe über unser Gespräch zu verlieren. Ich hatte zwei armenische Schüler in meiner Klasse, und obwohl sie von alldem nichts wussten, dachte ich jedesmal daran, wenn ich einen von ihnen aufrief und an die Tafel kommen ließ. Sosehr ich mir sagte, es sei Unsinn, dass ich mich ihnen gegenüber in dieser vagen Weise schuldig fühlte, die nichts als Bequemlichkeit war, es half nichts, ich kam nicht gegen die Beklommenheit an, mit der ich ihnen fortan begegnete. Dabei bestand meine Feigheit nicht etwa darin, dass ich mich hatte einschüchtern lassen, sondern dass ich die beiden bevorzugt behandelte, eine nur allzu durchschaubare Gewissenserleichterung, als könnte ich etwas wiedergutmachen, indem ich ihnen zu besseren Noten verhalf oder ein bisschen freundlicher mit ihnen umging. Es war schon später im Schuljahr, als ich ein- oder zweimal in der Woche an der kleinen armenischen Kirche vorbeikam, die hinter einem meterhohen
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