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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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nichts dazu, aber einmal fragte er mich, ob ich ihn die halbe Strecke begleiten könne, und obwohl diese exakte Angabe nur Zufall war, ist sie mir im Kopf geblieben, als hätte er es genauso gemeint und im Zweifelsfall darauf geachtet, dass ich keinen Schritt weiter tat und mich nicht mit ihm verirrte.

3
    Meine Unterredung mit dem Direktor und die folgende Begegnung mit Herrn Bleichert im Konferenzzimmer waren an einem Mittwoch gewesen, und bis zum Sonntag geschah nichts. Tags darauf ging ich in die Schule wie immer, und gegen meine Erwartung sprach mich niemand auf mein Verschwinden am Vortag an. Ich dachte mir wenig dabei, aber vielleicht hätte es mich eher stutzig machen müssen, als wenn ich zur Rede gestellt worden wäre. Am Freitag unterrichtete ich wieder die Klasse, in der ich über die Bombendrohung gesprochen und ohne Entschuldigung die Stunde hatte ausfallen lassen, und ich nannte als Grund, die Sekretärin des Direktors habe wohl vergessen, die Information weiterzugeben, dass ich in einer unaufschiebbaren Sache aus dem Haus gemusst hätte. Das klang genauso falsch, wie es war, und die Schüler gaben mir mit ihren gelangweilten Blicken einmal mehr zu verstehen, dass ich ihnen alles und nichts erzählen konnte. Als mich einer von ihnen bat, genauer zu erklären, was ich damit meinte, dass es manchmal gerade die Sehnsucht nach Unschuld und Reinheit sei, die einen dazu bringe, Schuld auf sich zu nehmen, war es eine durchschaubare Provokation. Sie kam von einem der üblichen Kandidaten, und ich wollte schon abwinken, ließ mich aber doch hinreißen und sagte, es sei die Frage, wie man zum Gesetz stehe. Ich sagte, das Gesetz sei nicht alles und man brauche nicht lange nachzudenken, um auf Beispiele zu kommen, in denen nicht die Verletzung des Gesetzes, sondern seine strikte Befolgung das Böse sei. Ich sagte wirklich »das Böse«, und dann sagte ich noch, es könne ja ein Reiz darin liegen, es einmal mit dem Bösen zu versuchen, wenn man mit dem Guten nirgendwo hingelangt sei oder sehe, dass das Gute überall pervertiert werde. Es war hochtrabend und unverzeihlich verschwommen, und ich stellte mir die Aufregung vor, wenn der Elternverein darauf gestoßen würde. Dabei wandte ich mich halb von der Klasse ab und schaute aus dem Fenster auf den leeren Sportplatz, und als ich wieder in die Reihen blickte, war es nicht die erwartete Bestürzung, die mir entgegenschlug, sondern Ausdruckslosigkeit, Ablehnung, vielleicht sogar Mitleid, dieses erbärmliche Mitleid der Jüngeren mit den Älteren, das einem als Lehrer früh zeigt, dass man eines Tages sagen kann, was man will, und es spielt keine Rolle mehr, und natürlich gab es irgendwo auch einen, der lachte.
    In meiner Freistunde am Donnerstag hoffte ich, Judith zu treffen, aber sie war wie schon am Tag davor krank gemeldet. Wann immer wir konnten, nützten wir die Möglichkeit, diese Stunde zusammen zu verbringen, und seit Beginn des Schuljahres geschah es zum ersten Mal, dass sie nicht da war. Ich hätte gern mit ihr darüber gesprochen, was mich alles beschäftigte, seit ich das Bild in der Zeitung gesehen hatte, und wie sehr ich plötzlich wieder an den Sommer mit Daniel und Christoph draußen am Fluss dachte. Im Konferenzzimmer führte ich statt dessen ein kurzes Gespräch mit Frau Pfeifer, aus dem hervorging, dass der Direktor tatsächlich darauf wartete, dass ich mich bei ihm meldete. Sie sagte es nicht direkt, aber in der Art, wie sie anklingen ließ, es seien zwischen uns ja offene Fragen geblieben, musste ich eine Aufforderung sehen. Es lag ihr wieder nicht das Geringste daran, zu verbergen, dass sie in alles Einblick hatte, und ich sah zu, ihr nicht mehr als nötig zu verraten und mich möglichst schnell zu empfehlen. Davor war ich dem Direktor auf dem Gang begegnet und grüßend und ohne Eile an ihm vorbeigegangen. Ich spürte, wie er mir nachschaute, und auf der Treppe, als ich längst außer Sicht war, dachte ich mit einem kribbeligen Unbehagen, er könnte hinter mir herrufen. Eine Weile überlegte ich, bei ihm zu klopfen, um es hinter mich zu bringen, aber dann kam ich mir vor wie als Kind, wenn ich zur Beichte musste und entweder kein Unrechtsbewusstsein oder keine Sünden gehabt hatte. Ich wäre wie damals wieder genötigt gewesen, eine Geschichte zu erfinden oder vielleicht sogar in einem schwachen Augenblick ein Geständnis abzulegen, nur damit er zufrieden wäre. Dann hätte ich wohl zugegeben, dass ich in meinem Unterricht alles andere tat, als

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