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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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meinen regulären Tagen, von einer anderen Atmosphäre. Als ich die Tür aufmachte, verstummten alle Geräusche, und mein Blick fiel durch den verrauchten Raum auf Herrn Frischmann, den Besitzer der Zeitung, der in einer Gruppe von Männern an der Theke stand und mitten im Wort innehielt. Er war ein durchtrainierter Fünfzigjähriger mit ein paar nachlässig über die Stirn gekämmten Haarsträhnen, und obwohl er vor den anderen herumtänzelte, als wären sie seine Sparringspartner, ließ sich nicht vermeiden, dass auch er sofort auf mich aufmerksam wurde. Er winkte mich zu sich, und es gelang mir gerade noch, meinen Schritt umzulenken und etwas abseits stehenzubleiben, nachdem ich im ersten Impuls brav wie ein Schuljunge auf ihn zugesteuert war. Wir hatten noch nie ein Wort miteinander gewechselt, und während ich mich fragte, woher er mich kannte, konnte es keinen Zweifel geben, worüber er soeben noch gesprochen hatte.
    »Hier kommt sein ehemaliger Lehrer«, sagte er, eine Zigarette in der einen, ein Glas Wein in der anderen Hand, was ihn nicht daran hinderte, Bewegungen zu machen, als wollte er die Männer umarmen. »Wenn ihr mir noch immer nicht glaubt, dass das alles nicht der Rede wert ist, dann fragt doch ihn. Er kennt den Buben am besten. Er kann euch sagen, dass er so etwas niemals tun würde, sofern der Brief nicht überhaupt von einem anderen stammt.«
    Ich kannte die meisten nur vom Sehen. Ein oder zwei Brauereiarbeiter, einer kam von der neu gegründeten Anwaltskanzlei am Hauptplatz, die anderen waren Fußballplatzgesichter, und sie schauten mich jetzt an, als erwarteten sie allen Ernstes eine Erklärung von mir. Nach meinem Gespräch mit Herrn Bleichert hatte ich schon in der Schule gemerkt, dass manche Kollegen offensichtlich hinter meinem Rücken redeten, auch wenn mich keiner darauf ansprach und Herr Bleichert bereits einen Tag später zu seinem alten, distanzierten Verhalten zurückkehrte. Bei ihnen war es eher Ratlosigkeit gewesen, aber wenn ich hier in die erhitzten Mienen sah, fiel mir nicht so leicht eine Erklärung ein. Als Lehrer wurde man schnell belächelt, wenn man in die falsche Gesellschaft geriet, und ich hatte nicht nur einmal erlebt, dass mir signalisiert wurde, es sei ja schön und gut, was ich da machte, habe mit dem richtigen Leben jedoch nichts zu tun, aber davon konnte in diesem Fall keine Rede sein. Wahrscheinlich täuschte ich mich nicht, und es war tatsächlich Feindseligkeit. Ich sagte nichts, begegnete nur wortlos ihren Blicken und wäre am liebsten gleich wieder gegangen, als ich von hinten am Ärmel gepackt und weggezogen wurde.
    »Lasst ihn doch erst einmal zur Ruhe kommen.«
    Es war Agata, die mich festhielt, als wollte sie mich daran hindern, eine Dummheit zu begehen. Sie gab den Männern in der ihr eigenen Mischung aus Freundlichkeit und Bestimmtheit zu verstehen, dass sie sich in ihrem Reich befanden, und nahm mich damit vor ihnen in Schutz. Ihr war die Spannung sofort aufgefallen, und halb von ihnen abgewandt, damit sie keiner hörte, lieferte sie mir dann auch die Erklärung dafür.
    »Herr Aschberner war gerade noch hier und hat ihnen von deinem Haus am Fluss erzählt, und sie wären am liebsten sofort hinausgefahren, um nachzuschauen.«
    »Der Direktor war hier«, sagte ich erstaunt, weil ich ihn mir in dieser Umgebung am wenigsten vorstellen konnte. »Was macht er im Bruckner?«
    »Er kommt jeden Sonntag.«
    »Und er hat ihnen von dem Haus erzählt?«
    »Ja«, sagte sie und achtete immer noch darauf, dass nur ich sie verstand. »Hätte nicht der schreckliche Zeitungsmensch sie zurückgehalten, wären sie jetzt alle auf dem Weg dorthin.«
    In diesem Augenblick hörte ich Herrn Frischmann sagen, er hoffe, dass Chorazin und Betsaida keine jüdischen Gemeinden gewesen seien, sonst müsse er sich wieder auf einen Anruf aus Wien gefasst machen, wenn er den Vorfall in der Zeitung als harmlos darstelle. Denn genau das werde er tun, er werde sich nicht an der Hysterisierung beteiligen und statt dessen darauf bestehen, es sei ein Kinderstreich, den er nur deshalb unappetitlich finde, weil die Kirche damit in ein Licht gerückt werde, in das sie nicht gehöre. Er könne nicht oft genug wiederholen, der Bauplan einer Bombe sei genausowenig eine Bombe wie das berühmte Magrittesche Bild von der Pfeife eine Pfeife, und wer das nicht verstehe, müsse sich nur vorstellen, was mit einem Bankräuber geschehen würde, der mit einer Wasserpistole am Schalter erschiene und dort Geld

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