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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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werde, und darauf spielte ich an, ohne meinen Sarkasmus zu verbergen.
    »Der Gott des Neuen Testaments ist doch ein liebender Gott.«
    »Gewiss«, sagte sie. »Das ist er.«
    Dann zögerte sie einen Augenblick.
    »Aber das Neue Testament ist voller Geheimnisse, und man darf nicht glauben, dass sich die Liebe darin immer nur als Liebe äußert.«
    Mir kam das alles wie eine Fortsetzung des aberwitzigen Plots vor, den ich entworfen hatte. Sie nannte die genaue Stelle, von der die Rede war, Matthäus 11,21, und ich wiederholte sie. Dabei wollte ich mich zuerst gar nicht darauf einlassen, aber dann fragte ich sie doch, ob sie eine Bibel zur Hand habe und mir den Wortlaut im Zusammenhang vorlesen könne.
    »Dazu brauche ich keine Bibel« sagte sie. »Ich kann es dir aufsagen. Jesus kündigt darin den beiden Orten in Galiläa das Gericht an. In der Nähe von Chorazin und Betsaida hat er die meisten Wunder gewirkt. Er ist unzufrieden mit ihnen, weil sie nicht Buße tun wollen. Willst du es hören?«
    Ich sagte ja, und sie deklamierte. Vielleicht hatte sie es selbst gerade erst nachgelesen, vielleicht konnte sie aber auch nach Belieben darüber verfügen. Immerhin hatte Herr Bleichert sie seit einiger Zeit unter seine Fittiche genommen, und der würde ihr solche Weisheiten schon vorkauen. Ihr Ton war sanft und zugleich drohend. Am Ende wartete sie schweigend, und obwohl ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, echauffierte ich mich.
    »Was für eine Verrücktheit«, sagte ich. »Buße wofür?«
    Sie wollte etwas erwidern, aber ich fiel ihr ins Wort.
    »Buße dafür, dass sie ihn nicht ausreichend bewundert haben? Er droht ihnen mit einem Schicksal, das schlimmer ist als das von Sodom, weil sie nicht in Sack und Asche gehen, und am Ende stellt er sich auch noch als Herrn der Sanftmut dar. Buße dafür, dass sie nicht auf seinen Zauber hereinfallen?«
    Einen Augenblick war es still, und ich dachte, sie könnte aufgelegt haben, aber dann kam ganz leise und wie aus großer Ferne ihre Stimme.
    »Ich weiß, dass das für einen heutigen Menschen nicht sehr befriedigend ist«, sagte sie, als wäre es ihre Schuld und nicht der Lauf der Dinge. »Aber so steht es geschrieben.«
    Dann fing sie wieder an, von Daniel zu sprechen.
    »Warum sollte er etwas Derartiges tun wie diesen Brief schicken? Offenbar ist er ein guter Bub gewesen. Er war doch mit Herrn Bleichert im Heiligen Land und hat dann darüber geschrieben. Hat er nicht später sogar Theologie studiert?«
    Ich verabschiedete mich, und erst als ich sie Frau Aschberner nannte, wurde mir richtig bewusst, dass sie sich mit ihrem Mädchennamen gemeldet hatte. Das wäre mir zu anderen Zeiten mehr aufgestoßen, und ich hätte wenigstens ein paar persönliche Worte hinzugefügt und mich erkundigt, wie es ihr gehe, oder meinen baldigen Besuch in Aussicht gestellt, aber jetzt wollte ich nur möglichst schnell für mich sein und in Ruhe überlegen. Ich sagte, ich würde später noch einmal anrufen, wenn ihr Mann wieder da sei, und als ich aufgelegt hatte, dachte ich, dass nicht nur die biblische Drohung absurd schien, sondern auch der offenbar beigelegte Bauplan einer Bombe. Er war entweder lächerlich oder ein besonders zynischer Hinweis, wie wenig es brauchte, wenn einer nur wollte. Ich hatte schon nach der ersten Drohung, nicht unbedingt wegen Daniel, eher aus bloßer Neugier, ein bisschen im Internet geschaut, und wenn auch nur annähernd stimmte, was sich dort mit ein paar Klicks entdecken ließ, war es nicht viel mehr als ein Kinderspiel. Eine halbe Stunde genügte, und ich hatte Informationen wie ein mittlerer Hobby-Sprengmeister. Mir stellte es sich so dar, als würde man alles, was für den Anfang vonnöten war, in der Küche oder im Badezimmer finden, wenn man nicht überhaupt aus der Schulzeit noch einen Chemiebaukasten hatte, oder man konnte es in der Apotheke kaufen, und dann fehlte nur ein bisschen technisches Geschick, und man wäre in der Lage, einen kleinen Höllenapparat zu bauen. Wenn ich mir das genau überlegte, wollte ich es nicht glauben. Ich sagte mir, dass es irgendwo einen Haken geben musste, und es machte mich tatsächlich stutzig, dass nicht alle paar Tage etwas in die Luft flog, wenn es so einfach erschien und wenn es da draußen angeblich so viele Verrückte gab, die nichts anderes im Sinn hatten, als die Welt in Brand zu setzen, wie einem weisgemacht wurde.
    Ich war noch nie an einem Sonntag im Bruckner gewesen und wurde dort von anderen Leuten empfangen als an

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