Eine andere Art von Ewigkeit: Lilith-Saga: 2 (German Edition)
junger Mann gekettet. Oder besser gesagt, das, was von ihm übrig ist. Seine Augen stieren halb offen blicklos zu uns herüber. Seine Kleidung ist zerfetzt, er ist von Wunden übersät. Manche der Wunden sind frisch, andere haben ihre aggressive Rötung verloren und scheinen mehrere Tage alt zu sein.
Sein Körper hängt mehr, als dass er steht. Das Opfer ist an dem Punkt angelangt, an dem es die Schmerzen nicht mehr wahrnehmen kann.
Der Mann ist nur noch Millimeter vom Ende seiner Existenz entfernt, murmelt unverständliche Silben vor sich hin und lacht gelegentlich schrill auf, als würde er sich über einen Witz amüsieren, den nur er hören kann.
Über seinem Kopf befindet sich eine Art großer Bottich, auf dessen Boden ein Pentagramm gemalt ist. Auch zu den Füßen des Mannes, um die Vertiefung herum, ist ein Pentagramm angebracht.
„Schau dir das genau an, du Dämon. Du hast großes Glück! Du kannst deinen Tod zweimal erleben! Sieh dir an, was wir aus deinem Artgenossen gemacht haben! In drei Tagen wirst du genauso weit sein. Du wirst nicht einmal mehr fähig sein, dir dein Ende herbeizusehnen.“
Der Musiker tritt direkt vor mich und bringt seinen Kopf immer näher an mich heran, bis seine Augen nur noch Zentimeter von meinen entfernt sind. Wieder reckt sich das Böse in seinem Blick und wieder grinst es einen Teil von mir an, als würde es mich kennen.
Als der Maestro die Bestätigung hat, dass ich ihn deutlich wahrnehme, lacht er zufrieden auf. „Du kannst mich sehen, du Dämon. Und? Zeigst du mein Bild gerade deinen anderen Dämonenfreunden?“
Ich zucke unwillkürlich zusammen.
„Was? Da bist du überrascht, dass ich weiß, was ihr könnt! Ihr schickt euch Bilder, ganze Gedankenfilme gegenseitig zu, lebt das Leben eurer widerlichen Brut gemeinsam. Aber damit ist jetzt bald Schluss. Wir werden euch Abtrünnige alle finden. Und…“, er weist mit seinem Zeigefinger auf den jungen, gefolterten Mann, „das werden wir aus euch machen. Das wird euer Ende.“
Er geht zwei Schritte zurück. „Hast du auch wirklich gute Sicht auf unser exquisites Schauspiel?“
Ich brauche ihm nicht zu antworten.
Der Langhaarige wendet sich an seine Männer. „Ich glaube, unser junger Freund am Pfahl möchte jetzt duschen.“ Er macht eine Pause, beißt sich auf die Unterlippe und kneift seine Augen zusammen, als würde er in sich hineinhorchen. Doch ich weiß, in Wirklichkeit genießt er jeden Augenblick seiner Show, seine Macht über Leben und Tod. Er will seine Performance ausdehnen, um möglichst viel für sich herauszuholen.
„Ja, ich bin überzeugt davon, dass er die Dusche braucht“, meint er kopfnickend, während er vorgibt, seinen Entschluss soeben nochmals gründlich durchdacht, das Für und Wider abgewogen zu haben.
Die Stille, die den Worten folgt, ist unerträglich.
Dann wird das Gemurmel des Opfers immer lauter, es schwillt an, der Mann brüllt seine gestammelten Silben, als würde er ahnen, was ihm bevorsteht.
Erst in diesem Moment fällt mir auf, dass von der Seite des Bottichs, der über dem Pfahl befestigt ist, ein Seil herunterhängt. Einer der Männer hält es in der Hand. Er tritt ins Licht und sieht den Maestro aufmerksam an. Er wartet auf ein Signal. Kurz blickt er zu uns herüber und ich kann im grellen Licht der Scheinwerfer sein Gesicht deutlich erkennen.
Sina kennt es nicht.
Aber ich.
Katharina hat mir sein Foto gezeigt. Wie auf dem Bild lächelt der Mann und seine verschiedenfarbigen Augen glänzen.
„Mach ihn nass, Daniel“, erfolgt der Befehl.
Daniel zieht an der Schnur, eine Luke im Bottich öffnet sich und stinkendes Blutsalz stürzt unter den Jubelrufen der Männer auf den Gefesselten hinunter.
Die Schreie des Opfers verwandeln sich in ein grauenvolles Krächzen. Sie überschlagen sich. Der Körper des jungen Mannes bäumt sich auf, es knackt laut, als eines seiner angeketteten Handgelenke bricht.
Sina nimmt jede Einzelheit in sich auf. Sie beobachtet das Sterben. Sie sieht nicht weg.
Ich hingegen löse mich ein Stück weit von ihr, drückte meinen Kopf auf den Boden der Turnhalle und verdränge die Bilder aus mir. Nur die Geräusche und Sinas Empfindungen bleiben in meinem Bewusstsein.
Die Schreie wollen einfach nicht aufhören.
Dann vernehme ich ein lautes Rauschen. Als ich den Geruch von brennendem Fleisch in meine Nase bekomme, weiß ich, dass die Männer einen Flammenwerfer eingesetzt haben.
Es dauert lange, bis ein einzelner Schuss ertönt.
Viel zu
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