Eine andere Art von Ewigkeit: Lilith-Saga: 2 (German Edition)
Anblick nicht mehr ertragen. Ich musste weg. „Johannes ist in großer Gefahr“, presste ich heraus. „Ich muss zu ihm. Nur ich kann ihn retten.“
„Bitte geh nicht. Sieh dich an. Das schaffst du nicht in deinem Zustand.“ Ihre Stimme hatte den Klang wie früher - weich und fürsorglich.
Verzweiflung überschwemmte mich. „Ich habe keine Wahl, Gerti. Johannes ist alles, was mir geblieben ist. Ich liebe ihn mehr als mein eigenes Leben. Ich muss zu ihm. Ich muss es zumindest versuchen.“
„Der Teufel will sein Leben holen“, bemerkte sie ausdruckslos.
„Asmodeo hat nichts damit zu tun.“
Müde schüttelte Gerti den Kopf. „Ich spreche nicht von Asmodeo. Asmo war nie eine Gefahr für dich oder mich oder Johannes, mein Findling. Ich spreche von Samael.“
Ich richtete mich wortlos auf, ging die letzten Stufen hinunter und blieb vor ihr stehen.
Gerti legte ihren Arm auf meine Schulter und ich ließ die Berührung zu. „Nimm wenigstens Asmo mit“, bat sie mich eindringlich.
Eine erneute Welle der Übelkeit schwappte in mir hoch. „Asmodeo gehört nicht mehr zu mir. Er hat das Team gewechselt.“
Gerti schluckte schwer. Ihre Augen glänzten wässrig. „Warte einen Moment“, sagte sie.
Sie verschwand in ihrem Schlafzimmer und kehrte mit einer Holzschatulle zurück. „Asmo hat mir das vor ein paar Tagen gegeben. Ich glaube, du brauchst das jetzt.“
Ich öffnete den Deckel. Vor mir lag ein kurzläufiger Revolver. Seine Trommel und sein Lauf schimmerten nachtblau. Daneben lag eine Packung schwerer Patronen.
Ich nahm die Waffe, öffnete die Ladeklappe und schob sechs Projektile in die Kammern. Ich sicherte die Waffe und steckte sie mir leicht seitlich in den vorderen Hosenbund. Ihr Griff ragte heraus und ich drapierte mein Sweatshirt darüber.
„Sei vorsichtig“, bat mich Gerti.
Wortlos ging ich hinaus zu meiner Suzi. Es waren rund zweihundert Kilometer bis zur Forschungsanlage. Und ich hatte knapp zwei Stunden Zeit, dorthin zu gelangen.
14
Der Motor meiner Suzi arbeitete laut dröhnend auf Hochtouren unter mir. Die Umgebung löste sich in zähen Farben auf. Mein Blick war starr nach vorne gerichtet.
Den Gasgriff hatte ich bis zum Anschlag aufgedreht. Ich fuhr mit äußerster Geschwindigkeit dahin.
Wenn ich konnte, überholte ich, ohne mich um irgendwelche Verkehrsregeln zu kümmern. Alles, was ich wollte, war, möglichst schnell vorwärts zu kommen.
Ich wollte zu Johannes. Johannes war der Einzige, der mir geblieben war. Asmodeo hatte mich verraten. Meine Familie war eine Bande von Heuchlern. Ich war allein auf dieser Welt.
Und wer war ich? Irgendeine widerliche Kreatur, ein abartiger Freak, aus den stinkenden Tiefen der Hölle. Ich hatte kein Recht auf Glück. Und trotzdem wollte ich es mir nicht nehmen lassen.
Johannes gehörte meine Liebe. Ich gehörte ihm jetzt ganz allein. Johannes war der einzige Sinn meines Lebens. Nichts zählte mehr, außer ihm.
Wenn es mir nicht gelang, ihn zu retten, war alles sinnlos. Dann konnte ich bis zum Ende aller Zeiten schmerzerfüllt und unvollkommen durch den Raum driften. Nichts würde mehr eine Bedeutung haben. Nicht für mich.
Die Autobahn war vorübergehend leerer. Ich wechselte auf die rechte Seite, lehnte mich tief über meinen Lenker, um geringeren Luftwiderstand zu bieten und noch schneller voran zu kommen.
Rechts neben mir, weit neben dem Standstreifen, nahm ich eine Bewegung wahr. Ein dunkles Etwas schob sich in mein Gesichtsfeld – wie damals, als ich meine Suzi das erste Mal Probe gefahren hatte.
Ich brauchte nicht hinüberzusehen, um zu wissen, dass mich der Rabe gefunden hatte. Ich bremste abrupt ab, meine Reifen quietschten, mein Bike schlingerte. Es roch verbrannt.
Ich hielt am Seitenstreifen an und suchte nach dem Boten des Todes. Ich fand ihn bald. Er war der Straße weiter gefolgt, hatte bemerkt, dass er mich verloren hatte und kam jetzt zurück. Ich konnte sein schwarzglänzendes Gefieder erkennen, seine rotglühenden Augen. Er flog in einem Bogen um mich herum, er kreiste über meinem Kopf.
Ich öffnete meine Jacke, holte den Revolver heraus, spannte ihn mit dreifachem Klicken und visierte den Vogel an. Ich hielt die Waffe mit beiden Händen, atmete ruhig ein und aus.
Der Rabe beäugte mich, zögerte, als er sich trotz meiner Waffe auf mich stürzen wollte. Wie sehr hoffte ich, dass sein Hass auf mich die Oberhand gewinnen, dass er alle Vorsicht außer Acht lassen und zu mir kommen würde, in der Absicht, mich
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