Eine Andere Welt
quetschte. »Das ist nicht wahr!« sagte sie wild und schüelte energisch den Kopf. »Ich liebe Jack, und er liebt mich. Er schreibt mir die ganze Zeit.«
»Gefälscht«, sagte er grausam. »Von irgendeinem Polizeiangestellten.«
Ein erstaunlicher Tränenstrom ergoß sich aus ihren Augen und trübte ihren Blick. »Meinen Sie?« schluchzte sie. »Manchmal denke ich es auch. Möchten Sie die Briefe ansehen? Können Sie erkennen, ob sie gefälscht sind?«
»Nun, wahrscheinlich sind sie nicht gefälscht«, sagte er. »Es ist einfacher und kommt billiger, ihn am Leben zu erhalten und seine Briefe selbst schreiben zu lassen.« Er hoe, daß diese Logik sie beruhigen würde, und offenbar tat sie es; die Tränen versiegten.
»Daran hae ich nicht gedacht«, sagte sie und nickte, wie zu sich selbst; ihre tränenumflorten Augen blickten abwesend und leer in die Ferne.
»Finden Sie es richtig, mit anderen Männern wie mir ins Be zu gehen, wenn Ihr Mann am Leben ist?« sagte er.
»Oh, sicher. Jack hae nie was dagegen, nicht mal vor seiner Verhaung. Und ich bin sicher, daß er auch jetzt nichts dagegen hat. Übrigens schrieb er mir vor nicht langer Zeit etwas darüber. Lassen Sie mich überlegen; es war vor vielleicht sechs Monaten. Ich glaube, ich könnte den Brief finden; ich habe sie alle auf Mikrofilm. Drüben in der Werksta.«
»Warum?«
»Manchmal kopiere ich sie für Kunden. Damit sie später verstehen können, warum ich tat, was ich tat.«
Er wußte nicht mehr zu sagen, von welcher Art die Gefühle waren, die er für sie hegte, oder wie er sich zu ihr stellen sollte. Mit den Jahren hae sie sich allmählich in eine Situation verstrickt, aus der sie sich nicht mehr befreien konnte. Und er sah keinen Ausweg für sie; es war zu lang so gegangen. Das Rezept war zur Routine geworden.
»Es gibt kein Zurück für Sie«, sagte er, und er wußte, daß er ihr damit nichts Neues sagte. Er wollte ihr die Hand auf die Schulter legen, aber sie wich sofort aus. »Hören Sie«, sagte er mit saner Stimme, »sagen Sie diesem McNulty, daß Sie Ihren Mann jetzt wiederhaben wollen, und daß Sie ihm keine Leute mehr ans Messer liefern werden.«
»Würden sie ihn freilassen, wenn ich das sagte?«
»Versuchen Sie es.« Schaden konnte es gewiß nicht, aber es war nicht schwierig, sich Mr. McNulty vorzustellen und wie er das Mädchen ansehen würde. Sie würde die Konfrontation niemals durchstehen; die McNultys der Welt waren nicht einzuschüchtern. Außer wenn etwas ernstlich schiefging.
»Wissen Sie, was Sie sind?« fragte Kathy. »Sie sind ein guter Mensch. Verstehen Sie das?«
Er hob die Schultern. Wie die meisten Wahrheiten war es Ansichtssache. Vielleicht war er ein guter Mensch, wenigstens in dieser Situation. Weniger in anderen. Aber davon wußte Kathy nichts. »Setzen Sie sich«, sagte er. »Streicheln Sie Ihren Kater, trinken Sie Ihren ›Schraubenzieher‹. Denken Sie an nichts; versuchen Sie einfach da zu sein. Können Sie das? Den Geist für eine kleine Weile ganz freimachen? Versuchen Sie es.« Er schob ihr einen Stuhl hin, und sie setzte sich gehorsam darauf.
»Ich tue das die ganze Zeit«, sagte sie dumpf.
»Aber Sie dürfen es nicht negativ tun. Tun Sie es positiv.«
»Wie? Was meinen Sie?«
»Tun Sie es zu einem richtigen Zweck, nicht bloß, um die Auseinandersetzung mit unangenehmen Wahrheiten zu vermeiden. Tun Sie es, weil Sie Ihren Mann lieben und wiederhaben wollen. Sie wollen doch, daß alles so sei, wie es vorher war, nicht?«
Sie nickte. »Aber jetzt bin ich Ihnen begegnet.«
»Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen.«
Kathy seufzte. »Sie wirken auf mich viel magnetischer als Jack«, sagte sie. »Er ist auch magnetisch, aber Sie sind es viel mehr. Vielleicht könnte ich ihn nicht mehr richtig lieben, nachdem ich Sie getroffen habe. Oder glauben Sie, man kann zwei Menschen gleich lieben, bloß in verschiedener Weise? Meine Therapiegruppe sagt nein, ich müßte wählen. Sie sagen, das sei eine der Grundtatsachen des Lebens. Sie müssen wissen, diese Frage ist schon früher aufgetaucht. Ich habe mehrere Männer kennengelernt, die anziehender als Jack ... obwohl keiner von ihnen so magnetisch wie Sie war. Jetzt weiß ich wirklich nicht, was ich tun soll. Es ist sehr schwierig, solche Fragen zu entscheiden, weil es niemanden gibt, mit dem man reden kann: niemand versteht einen. Man muß es allein durchmachen, und manchmal wählt man falsch. Was wäre, zum Beispiel, wenn ich Sie Jack vorziehen würde, und dann kommt er zurück,
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