Eine Andere Welt
sagte er verdrießlich. »Reden Sie schon weiter!«
»Ich glaube«, sagte Kathy schließlich, »daß die Siebener den Staatsstreich vereitelten.«
Siebener, dachte er. In seinem ganzen Leben hae er nie von Siebenern gehört. Nichts häe ihn mehr schockieren können. Gut, daß mir dieser lapsus linguae unterlaufen ist, dachte er. Jetzt habe ich wirklich etwas dazugelernt. Endlich eine wirkliche Information in diesem Irrgarten von Konfusion und Scheinrealität.
Der Saum der Tagesdecke auf dem Be geriet in Bewegung, und eine junge schwarzweiße Katze kam zögernd zum Vorschein. Kathy hob sie sofort auf und drückte mit strahlendem Lächeln die Wange ins seidenweiche Fell.
»Das ist Domenico«, sagte sie.
»Nach Domenico Scarlai benannt?« fragte er.
»Nein, nach Domenicos Lebensmielmarkt, hier in der Straße; wir sind daran vorbeigefahren. Ich kaufe dort ein. Ist Domenico Scarlai ein Musiker? Ich glaube, ich habe von ihm gehört.«
»Er war Abraham Lincolns Englischlehrer«, sagte Jason.
»Ach so.« Sie nickte abwesend, während sie die Katze wiegte.
»Ich habe Sie angeführt«, sagte er, »und das ist gemein. Tut mir leid.«
Kathy blickte ernst und ein wenig verwirrt zu ihm auf, das Gesicht an ihre Katze geschmiegt. »Ich merke es nie«, murmelte sie.
»Eben darum ist es gemein«, sagte Jason.
»Warum?« fragte sie. »Wenn ich etwas nicht weiß, dann bedeutet das, daß ich eben dumm bin. Nicht wahr?«
»Sie sind nicht dumm«, widersprach Jason. »Bloß jung und unerfahren. Woher sollten Sie das Wissen nehmen, das ein anderer in vierzig oder fünfzig Jahren angesammelt hat? Nehmen Sie mich, zum Beispiel. Ich bin mehr als doppelt so alt wie Sie, und in den vergangenen zehn Jahren hae ich Gelegenheit, viele der berühmtesten Leute in diesem Lande kennenzulernen. Und ...«
»Und Sie sind ein Sechser«, sagte Kathy.
Sie hae seinen Ausrutscher also nicht vergessen. Natürlich nicht. Er könnte ihr alles mögliche erzählen, und zehn Minuten später würde sie nichts mehr davon wissen. Aber der eine wirkliche Ausrutscher würde ihr im Gedächtnis bleiben.
»Was bedeutet Ihnen Domenico?« fragte er, um das Thema zu wechseln. Es war plump gemacht, dachte er selbstkritisch, aber nun konnte er nicht mehr zurück. »Was haben Sie an ihm, das Sie im Umgang mit Menschen nicht bekommen?«
Sie schaute nachdenklich zu Boden.
»Er verlangt so wenig. Seine Zuneigung ist nicht mit bestimmten Erwartungen verknüp. Und er ist unterhaltsam; er hat immer etwas vor. Er ist zum Beispiel ein sehr guter Fliegenfänger. Er hat gelernt, sie zu erwischen, bevor sie wegfliegen können.« Sie blickte auf und lächelte einnehmend. »Und ich brauche mich bei ihm nie zu fragen, ob ich ihn Mr. McNulty übergeben sollte. Mr. McNulty ist mein Kontaktmann bei der Polizei. Ich gebe ihm die Analogempfänger für die Mikrosender, die Punkte, die ich Ihnen zeigte ...«
»Und er bezahlt Sie.«
Sie nickte.
»Und doch leben Sie – so ?« Er machte eine Armbewegung, die den armseligen Raum einschloß.
»Ich ... ich kriege nicht viele Kunden«, sagte sie stockend.
»Unsinn. Sie sind gut; ich habe Ihnen bei der Arbeit zugesehen. Sie sind erfahren.«
»Ein Talent.«
»Aber ein ausgebildetes Talent.«
»Also gut: es geht alles in die andere Wohnung. Meine Hauptwohnung.« Er sah ihrem Gesicht an, daß sie sich in die Enge getrieben fühlte und daß es ihr unangenehm war.
»Nein, das glaube ich Ihnen nicht«, sagte er.
Nach einer Pause sagte Kathy: »Mein Mann ist noch am Leben. Er ist in einem Zwangsarbeitslager in Alaska. Ich versuche ihn freizukaufen, indem ich Mr. McNulty mit Informationen versorge. Noch ein Jahr« – sie zuckte die Achseln und blickte mürrisch vor sich hin – »und Jack kann mit seiner Entlassung rechnen. – Sagt McNulty.«
Und so schickst du andere Leute in die Arbeitslager, dachte er, um deinen Mann herauszuholen. Hört sich nach einem typischen Polizeihandel an. Wahrscheinlich ist es die Wahrheit.
»Ein großartiges Geschä für die Bullen«, sagte er. »Sie verlieren einen Mann und kriegen – wie viele, würden Sie sagen, haben Sie für Ihren Mr. McNulty mit Signalgebern ausgestaet? Dutzende? Hunderte?«
Nach einigem Grübeln sagte sie schließlich: »Vielleicht hundertfünfzig.«
»Es ist böse und schlecht«, sagte er.
»Wirklich?« Sie blickte ihn nervös an, hielt Domenico an ihre flache Brust gedrückt. Dann wurde sie allmählich zornig; es war ihrem Gesicht und der Art und Weise anzusehen, wie sie die Katze gegen ihren Brustkorb
Weitere Kostenlose Bücher