Eine Andere Welt
Taverner seine Kleider holen wollte, fand er Ruth Rae im Halbdunkel des Schlafzimmers auf dem zerwühlten, noch immer warmen Be sitzend, voll angekleidet und eine ihrer gewohnten Tabakzigareen rauchend. Nächtlich graues Licht sikkerte durch die Fenster. Das Ende der Zigaree glühte hell und nervös auf.
»Diese Lungentorpedos werden dich noch umbringen«, sagte er. »Sie wurden aus gutem Grund auf eine Packung pro Person und Woche rationiert.«
»Zieh Leine«, sagte Ruth Rae und rauchte weiter.
»Aber du kriegst sie auf dem Schwarzen Markt«, sagte er. Einmal war er mit ihr gegangen, um einen ganzen Karton zu kaufen. Selbst bei seinem Einkommen hae der Preis ihn erschreckt. Doch Ruth hae es offenbar nichts ausgemacht. Sie schien damit gerechnet zu haben; sie kannte die Kosten ihrer Gewohnheit.
»Hauptsache, ich kriege sie.« Sie drückte die erst halb gerauchte Zigaree in einem lungenförmigen Keramikaschenbecher aus.
»Wenn das keine Verschwendung ist«, sagte er.
»Hast du Monica Buff geliebt?« fragte Ruth.
»Klar.«
»Ich kann mir das nicht vorstellen.«
»Es gibt verschiedene Arten von Liebe«, sagte Jason.
»Wie Emily Fusselmans Kaninchen.« Sie blickte zu ihm auf. »Eine Frau, die ich kannte, verheiratet, drei Kinder. Sie hae zwei junge Katzen, und dann bekam sie eins von diesen großen grauen belgischen Kaninchen, die mit den riesigen Hinterbeinen. Im ersten Monat hae das Kaninchen Angst, aus seinem Käfig herauszukommen. Wir glauben, es war ein Er, soweit wir es beurteilen konnten. Dann, als dieser Monat um war, pflegte er aus dem Käfig zu kommen und im Wohnzimmer herumzuhoppeln. Nach zwei Monaten lernte er die Treppe hinaufsteigen und an Emilys Schlafzimmertür zu kratzen, um sie morgens zu wecken. Er fing sogar an, mit den Katzen zu spielen, aber da begannen die Schwierigkeiten, denn er war nicht so klug wie eine Katze.«
»Kaninchen haben kleinere Gehirne«, sagte Jason.
Ruth Rae nickte. »Jedenfalls liebte er die Katzen und versuchte ihnen alles nachzumachen. Er lernte sogar, die meiste Zeit den Kasten mit der Torfstreu zu benutzen. Aus Haaren seines Brustfells, die er sich ausriß, machte er hinter der Couch ein Nest und wollte, daß die jungen Katzen hineingingen. Aber sie haen dafür nichts übrig. Das Ende kam – beinahe –, als er versuchte, mit einem Schäferhund, den eine Frau mitgebracht hae, fangen zu spielen. Er hae gelernt, dieses Spiel mit den Katzen und mit Emily Fusselman und ihren Kindern zu spielen, wobei er sich hinter der Couch zu verstecken pflegte und dann herausgerannt kam, sehr schnell und in Kreisen, und alle versuchten ihn zu erwischen, aber meistens gelang es ihnen nicht, und er brachte sich wieder hinter der Couch in Sicherheit, wohin ihm keiner folgen dure. Aber der Hund kannte die Spielregeln nicht, und als das Kaninchen hinter die Couch lief, verfolgte ihn der Hund und bekam sein Hinterteil zwischen die Zähne. Emily konnte dem Hund die Kiefer auseinanderziehen und schae ihn hinaus, aber das Kaninchen war sehr verletzt. Es erholte sich, doch von da an hae es schreckliche Angst vor Hunden und rannte schon fort, wenn es nur einen durch das Fenster sah. Und den Teil, wo der Hund ihn gebissen hae, versteckte er immer hinter den Vorhängen, weil er dort kein Fell mehr hae und sich schämte. Aber das Rührende an ihm waren seine Versuche, über die Grenzen seiner – wie würdest du sagen? Physiologie? – hinauszugelangen. Er bemühte sich wirklich, die Beschränkungen eines Kaninchens zu überwinden und eine höher entwickelte Lebensform zu werden, wie die Katzen. Die ganze Zeit wollte er bei ihnen sein und als Ebenbürtiger mit ihnen spielen. Das war eigentlich schon alles. Die jungen Katzen wollten nicht in dem Nest bleiben, das er für sie baute, und der Hund kannte die Regeln nicht und erwischte ihn. Er lebte noch mehrere Jahre. Aber wer häe gedacht, daß ein Kaninchen eine so komplexe Persönlichkeit entwickeln kann? Und wenn er auf der Couch saß, und er wollte sie für sich haben, um sich auszustrecken, stieß er einen mit der Nase an, und dann, wenn man sitzen blieb, biß er einen. Aber sieh dir die Sehnsüchte dieses Kaninchens an, und sein Versagen. Ein kleines Leben voller Bemühungen. Und doch war es die ganze Zeit hoffnungslos. Aber das wußte das Kaninchen nicht. Oder vielleicht wußte es davon und versuchte es trotzdem. Aber ich glaube, es verstand nicht. Es hae nur diese große Sehnsucht. Sie war sein ganzes Leben, weil es die Katzen liebte.«
»Ich dachte,
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