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Eine Andere Welt

Eine Andere Welt

Titel: Eine Andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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das; ich weiß es. Du willst nur nicht darüber nachdenken. Es ist der vollendete Zyklus der Liebe: zu lieben, zu verlieren, zu trauern, zu verlassen und dann von neuem zu lieben. Jason, Trauer ist das Bewußtsein, daß du allein wirst sein müssen, und jenseits davon gibt es nichts, denn das Alleinsein ist das endgültige Geschick eines jeden Lebewesens. Das ist der Tod, die große Einsamkeit. Ich erinnere mich, wie ich das erste Mal Pot aus einer Wasserpfeife rauchte, sta mir einen Joint zu drehen. Der Rauch war kühl, und ich merkte gar nicht, wieviel ich inhalierte. Ganz plötzlich starb ich. Für einen kurzen Augenblick nur, aber mehrere Sekunden lang. Die Welt, alle Gefühle und Wahrnehmungen, einschließlich des Bewußtseins meines eigenen Körpers – alles verblaßte und verging. Und doch ließ es mich nicht in einer Isolation im üblichen Sinne zurück, denn wenn du im üblichen Sinne allein bist, gehen dir immer noch Informationen und Wahrnehmungen zu, und wenn sie nur vom eigenen Körper kommen. Aber bei mir verschwand selbst die Dunkelheit. Alles hörte einfach auf. Stille. Nichts. Allein.«
»Dann müssen sie das Zeug mit einem von diesen giigen Scheißmieln getränkt haben; das machte damals viele Leute kapu.«
»Ja, ich kann von Glück reden, daß es keine dauernden Folgen hae. Ein verrücktes Ding – ich hae früher o Pot geraucht, aber nie war so etwas passiert. Das ist der Grund, warum ich danach auf Tabak übergegangen bin. Es war übrigens nicht wie ein Ohnmachtsanfall; ich hae nicht das Gefühl, fallen zu müssen, weil ich nichts hae, womit ich häe fallen können, keinen Körper ... und es gab kein Unten, das dem Fall eine Richtung gegeben häe. Alles, auch ich selbst, erlosch einfach. Verdunstete. Wie der letzte Tropfen aus einer Flasche. Bald darauf lief der Film dann wieder weiter. Der große Spielfilm, den wir Wirklichkeit nennen.« Sie brach ab und inhalierte den Rauch ihrer Zigaree. Nach einer Weile sagte sie: »Ich habe noch nie jemandem davon erzählt.«
»Machte es dir Angst?«
Sie nickte. »Bewußtsein der Bewußtlosigkeit, wenn du verstehst, was ich meine. Wenn wir sterben, werden wir es nicht fühlen, weil der Verlust aller Wahrnehmungen das Sterben ausmacht. Darum fürchte ich mich überhaupt nicht mehr vor dem Sterben, nicht mehr nach diesem schlechten Pot-Trip. Aber zurück zur Trauer: das heißt Leben und Sterben zugleich. Es gibt keine absolutere, überwältigendere Erfahrung. Manchmal denke ich, wir seien nicht dafür geschaffen, um so etwas durchzustehen; es ist zuviel, der Körper richtet sich beinahe selbst zugrunde. Aber ich will Trauer empfinden, will Tränen vergießen können.«
»Warum?« Er konnte es nicht begreifen; für ihn war dies etwas, das es zu vermeiden galt.
»Trauer bringt einem die Wiedervereinigung mit dem, was man verloren hat«, sagte Ruth. »Sie ist ein Verschmelzen; in gewisser Weise trennst du dich von dir selbst und begleitest den Gegenstand deiner Liebe, gehst einen Teil seines Weges mit ihm. Manchmal folgst du ihm, so weit du gehen kannst. Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich diesen Hund hae, den ich liebte. Ich war siebzehn oder achtzehn. Der Hund wurde krank, und wir brachten ihn zum Tierarzt. Der sagte, er habe Raengi gefressen und seine inneren Organe seien schwer in Mitleidenscha gezogen, und die nächsten vierundzwanzig Stunden würden entscheiden, ob er mit dem Leben davonkäme. Ich ging nach Haus und wartete, und dann, so um elf Uhr abends, brach ich zusammen. Der Tierarzt wollte mich am Morgen anrufen und mir sagen, ob Hank die Nacht überlebt häe. Ich stand um halb neun auf und versuchte in meinem Kopf Ordnung zu schaffen und wartete auf den Anruf. Ich ging ins Badezimmer – ich wollte mir die Zähne putzen
– und sah Hank in der unteren linken Ecke des Badezimmers; er stieg langsam in einer sehr gemessenen und würdevollen Art und Weise eine unsichtbare Treppe hinauf. Ich sah zu, wie er diagonal bis zur oberen rechten Ecke des Badezimmers emporstieg, wo er im Weitergehen verschwand. Er blickte kein einziges Mal zurück. Ich wußte plötzlich, daß er gestorben war. Und dann läutete das Telefon, und der Tierarzt sagte mir, daß Hank tot sei. Aber ich sah ihn emporsteigen. Und natürlich überkam mich schreckliche, überwältigende Traurigkeit, in der ich mich selbst verlor und Hank das Geleit gab, die verdammte Treppe hinauf.«
Beide schwiegen eine Zeitlang.
»Aber schließlich vergeht die Trauer, und man wird wieder Teil dieser

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