Eine Andere Welt
stimulierend auf seine Kopfschmerzen zu wirken. Selbst Darvon kann mir nicht helfen, dachte er. Dabei habe ich zwei genommen.
Er stieg in seinen Diensthubschrauber und schlug die Tür zu. In der kleinen, verglasten Kabine war es fast noch kälter als draußen. Er startete den Motor und schaltete die Heizung ein. Kalter Wind blies aus den Bodenöffnungen. Er begann zu ziern. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß es zwei Uhr dreißig war. Kein Wunder, daß es so kalt ist, dachte er.
Wir spielen Rollen, dachte er, während er dem Motorenlärm lauschte. Wir nehmen Positionen ein, große oder kleine, gewöhnliche oder außergewöhnliche, unbedeutende oder hervorragende. Jason Taverners Rolle war am Ende groß und allen sichtbar, und an diesem Punkt mußte die Entscheidung gefällt werden. Wäre er so geblieben, wie er angefangen hae, ohne richtige Papiere, in einem schmutzigen, raenverseuchten Slumhotel, häe er mit einem blauen Auge davonkommen können ... oder wäre schlimmstenfalls in einem Arbeitslager gelandet. Aber Taverner hae sich für etwas anderes entschieden.
Sein verständliches, wenn auch irrationales Geltungsbedürfnis erzeugte den Wunsch, aufzutreten, allen sichtbar und bekannt zu sein. Recht so, Jason Taverner, dachte Buckman, du bist wieder bekannt, wie schon einmal, aber jetzt besser, in einer neuen Weise. In einer Weise, die höheren Zwecken dient – Zwecken, von denen du nichts weißt, die du aber akzeptieren mußt, selbst wenn du sie nicht verstehst. Noch im Grab wird dein Mund offen sein und die Frage stellen: »Was habe ich getan?« und so wird man dich begraben: mit offenem Mund.
Und selbst ich könnte es dir nicht erklären, dachte Buckman. Ich könnte dir höchstens den Rat geben, dich Behörden gegenüber nie auffällig zu benehmen. Tue nie, was unser Interesse wecken könnte. Was uns den Wunsch eingeben könnte, mehr über dich zu erfahren.
Eines Tages, in einer fernen Zukun, wenn es nicht mehr darauf ankommt, mag deine Geschichte an die Öffentlichkeit gelangen. Eines Tages mag es sogar eine gerichtliche Untersuchung geben, und man wird vielleicht sogar erfahren, daß du tatsächlich nichts getan haest und daß deine ganze Schuld allein darin bestand, uns aufgefallen zu sein.
Die Wahrheit ist, daß du trotz deines Ruhms und deiner großen Schar von Anhängern und Verehrern entbehrlich bist. Und ich bin unentbehrlich. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden. Darum mußt du gehen, während ich bleibe.
Die Maschine stieg aus der diffusen Helligkeit der über dem Häusermeer lagernden Dunstschichten dem klaren Gefunkel der Sterne entgegen, und Buckman summte leise vor sich hin, in Gedanken bereits in der frohen und zufriedenen Welt seines Hauses, die eine Welt der Musik, der Gedanken, schöner Bücher, alter Schnupabaksdosen und seltener Briefmarken war.
Es gibt Schönheit, die niemals verlorengehen wird, sagte er sich; ich werde sie erhalten; ich bin einer von jenen, die sie hegen und beschützen. Und ich bleibe. Und das ist letztlich alles, worauf es ankommt.
Er summte zum Geräusch des Windes, der die Maschine umtoste, als sie sich auf Nordwestkurs der Küste näherte, ein Staubkörnchen, verloren in der weiten Nacht.
Endlich fühlte er eine dürige Wärme aufsteigen, als die Heizung endlich zu funktionieren begann. Etwas trope ihm von der Nase auf die Brust. Mein Go, dachte er entsetzt, ich weine schon wieder. Er hob die Hand und wischte sich die Augen. Um wen? fragte er sich. Um Alys? Um Taverner? Oder um alle miteinander?
Nein, sagte er sich, es ist ein Reflex. Eine Folge von Erschöpfung und Sorge. Hat nichts zu bedeuten. Warum weint ein Mann? überlegte er. Nicht wie eine Frau, aus Gefühlsseligkeit. Ein Mann weint über den Verlust von etwas, etwas Lebendigem. Ein Mann kann über ein krankes Tier weinen, von dem er weiß, daß es nicht überleben wird. Über den Tod eines Kindes: darüber kann ein Mann weinen. Aber nicht, weil es um die Welt und das Leben traurig bestellt ist.
Ein Mann, sagte er sich, weint nicht über die Zukun oder die Vergangenheit, sondern über die Gegenwart. Und was ist die Gegenwart? In der Polizeiakademie verhören sie jetzt Jason Taverner, und er erzählt ihnen seine Geschichte. Wie jeder andere hat er eine Geschichte zu erzählen, eine Darbietung, die uns seine Unschuld vor Augen führen soll.
Und doch weinte er noch immer. Es schien sogar, als ob seine Tränen sich vermehrten. Herb hae recht, dachte er; ich muß ein paar Stunden ausspannen. Er steckte die
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