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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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trockenen Zweige, die ich finden konnte, und entfachte ein Feuer. Er saß links von mir, nur wenige Schritte entfernt. Das Feuer warf seltsame, tanzende Schatten. Zuweilen wurden die Flammen schillernd. Sie wurden bläulich und dann strahlend weiß. Ich erklärte mir dieses ungewöhnliche Farbenspiel mit der Vermutung, daß es durch eine chemische Eigenheit dieser trockenen Zweige und Äste hervorgerufen werde. Ein weiteres, sehr ungewöhnliches Merkmal des Feuers waren die Funken. Die neuen Zweige, die ich nachlegte, sandten erstaunlich große Funken aus. Ich fand, sie waren wie Tennisbälle, die in der Luft zu explodieren schienen.
    Ich blickte starr ins Feuer, so wie ich glaubte, daß Don Juan es mir empfohlen hatte. Mir wurde schwindelig. Er reichte mir seine Wasserflasche und bedeutete mir, zu trinken. Das Wasser entspannte mich und gab mir ein köstliches Gefühl der Frische. Don Juan beugte sich zu mir rüber und flüsterte mir ins Ohr, ich solle nicht in die Flammen starren, sondern nur in die Richtung des Feuers Ausschau halten. Nachdem ich fast eine Stunde lang geschaut hatte, wurde mir sehr kalt, und ich spürte die klamme Feuchtigkeit der Nacht. Irgendwann, als ich mich gerade vorbeugen und einen Zweig aufheben wollte, fegte etwas wie eine Motte oder wie ein Fleck von rechts nach links über meine Netzhaut. Sofort schrak ich zurück. Ich sah mich nach Don Juan um, und er bedeutete mir mit einer Kopfbewegung, ich solle wieder zurück in die Flammen schauen. Im nächsten Moment fegte der gleiche Schatten in entgegengesetzter Richtung an mir vorbei. Don Juan stand hastig auf und begann lockere Erde auf die brennenden Zweige zu werfen, bis er die Flammen vollkommen ausgelöscht hatte. Diese Löschaktion führte er mit unerhörter Geschwindigkeit aus. Als ich aufgestanden war, um ihm zu helfen, war er bereits fertig. Er stampfte die Erde auf den schwelenden Zweigen fest, und dann zerrte er mich geradezu bergab und aus dem Tal hinaus. Er ging sehr schnell, ohne den Kopf zu wenden, und erlaubte mir kein Wort.
    Als wir Stunden später an meinen Wagen kamen, fragte ich ihn, was das Ding, das ich gesehen hatte, gewesen war. Er schüttelte energisch den Kopf, und wir fuhren in tiefem Schweigen fort.
    Als wir am frühen Morgen sein Haus erreichten, ging er direkt hinein und brachte mich wieder zum Schweigen, als ich sprechen wollte.
    Don Juan saß draußen hinter seinem Haus. Er schien darauf gewartet zu haben, daß ich aufwachte, denn als ich aus dem Haus trat, begann er zu sprechen. Er sagte, daß der Schatten, den ich in der letzten Nacht gesehen hatte, ein Geist war, eine Kraft, die an dem Platz, wo ich ihn gesehen hatte, ansässig sei. Er bezeichnete ihn als ein nutzloses Wesen. »Es existiert dort einfach«, sagte er. »Es hat keine Machtgeheimnisse, darum wäre es sinnlos gewesen, dort zu bleiben. Du hättest nur die ganze Nacht einen schnellen Schatten hin- und herhuschen sehen. Es gibt aber andere Wesen, die dir Geheimnisse der Macht anvertrauen können, wenn du das Glück hast, sie zu finden.«
    Wir frühstückten miteinander und schwiegen eine ganze Weile. Nach dem Essen saßen wir vor seinem Haus. »Es gibt drei Arten von Wesen«, sagte er plötzlich, »jene, die nichts geben können, weil sie nichts zu geben haben; jene, die nur Furcht auslösen können; und jene, die Gaben haben. Was du letzte Nacht gesehen hast, war ein stilles Wesen; es hatte nichts zu geben; es ist nur ein Schatten. Meistens aber ist mit diesem stillen ein Wesen anderer Art zusammen, ein böser Geist, dessen einzige Eigenschaft es ist, einem Angst zu machen. Er treibt sich immer am Sitz der stillen Wesen herum. Deshalb beschloß ich, schnell von dort wegzugehen. Das böse Wesen folgt den Menschen bis in ihre Häuser und macht ihnen das Leben unerträglich. Ich kannte Leute, die wegen dieser Geister aus ihren Häusern ziehen müßten. Es gibt immer wieder Leute, die glauben, sie könnten durch ein solches Wesen viel erreichen, aber die bloße Tatsache, daß sich ein Geist in der Nähe des eigenen Hauses aufhält, besagt noch gar nichts. Sie mögen versuchen, es anzulocken, oder ihm ums Haus zu folgen, weil sie der Meinung sind, es könne ihnen Geheimnisse offenbaren. Aber das einzige, was sie davon haben, ist ein Erlebnis, das sie zu Tode ängstigt. Ich kenne Menschen, die immer wieder nach einem dieser bösen Wesen, die ihnen nach Hause gefolgt waren, Ausschau hielten. Monatelang beobachteten sie den Geist, bis schließlich jemand in

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