Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
er; und da ich zwei Männer und eine Frau gesehen hatte, schloß er, daß mein Erlebnis sogar noch ungewöhnlicher gewesen sei. Ich fragte ihn, ob Verbündete auch die Gestalt von Kindern annehmen konnten; ob es Kinder eines oder beiderlei Geschlechts sein konnten; ob die Verbündeten die Gestalt von Menschen verschiedener Rassen annahmen; ob sie eine ganze Familie, bestehend aus Mann, Frau und Kind darstellen konnten; und schließlich, ob er je einen Verbündeten ein Auto oder einen Bus steuern sah.
    Don Juan antwortete nicht. Er lächelte und ließ mich reden. Als er meine letzte Frage hörte, lachte er laut auf und sagte, ich hätte meine Fragen viel zu ungenau gestellt; ich hätte besser fragen sollen, ob er je einen Verbündeten am Steuer eines Kraftfahrzeugs gesehen hätte.
    »Du darfst doch die Motorräder nicht auslassen, nicht wahr?« sagte er mit boshaftem Augenzwinkern. Ich fand seine Art, sich über meine Fragerei lustig zu machen, wirklich komisch und mußte mitlachen. Dann erklärte er mir, daß die Verbündeten nicht direkt etwas steuern oder bewirken würden; sie konnten jedoch indirekt auf einen Menschen einwirken. Don Juan sagte, es sei gefährlich, mit einem  Verbündeten in Kontakt zu treten, denn er sei imstande, das Schlimmste in einem Menschen anzusprechen und zu aktivieren. Die Lehrzeit sei lang und mühsam, weil man alles Unnötige in seinem Leben auf ein Minimum reduzieren müsse, um der Wucht einer solchen Begegnung zu widerstehen. Don Juan erzählte, daß sein Wohltäter, als er zum erstenmal mit einem Verbündeten in Verbindung getreten war, von diesem dazu getrieben wurde, sich zu verbrennen, und daß er Schrammen davongetragen habe, als sei er von einem Berglöwen angefallen worden. Er selbst, berichtete er, ist von einem Verbündeten auf einen brennenden Holzstoß geworfen worden und hat sich dabei am Knie und an der Schulter verbrannt, doch seien die Narben mit der Zeit, als er mit dem Verbündeten eins wurde, verschwunden.

3.
    Am 10. Juni 1968 brachen Don Juan und ich zu einer langen Reise auf, um an einem mitote teilzunehmen. Seit Monaten hatte ich auf diese Gelegenheit gewartet, dennoch war ich mir nicht schlüssig, ob ich fahren sollte. Ich führte mein Zögern auf meine Befürchtung zurück, daß ich bei einem Peyotetreffen Peyote zu mir nehmen mußte, und das hatte ich ganz und gar nicht vor. Diese Meinung hatte ich Don Juan gegenüber wiederholt zum Ausdruck gebracht. Beim erstenmal hatte er geduldig gelacht, aber schließlich setzte er entschieden fest, daß er über meine Angst nichts mehr hören wolle. Ein mitote wäre für mich die ideale Gelegenheit, um die Schemata, die ich mir zurechtgelegt hatte, zu verifizieren. Denn ich hatte den Gedanken, daß bei einem solchen Treffen ein geheimer Führer notwendig war, um die Übereinstimmung unter den Teilnehmern herzustellen, niemals völlig aufgegeben. Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß Don Juan selbst meine Idee verworfen hatte, da er es für wirksamer hielt, alles, was bei einem mitote geschah, anhand des »Sehens« zu erklären. Ich glaubte, daß mein Interesse, eine meinen Maßstäben genügende Erklärung zu finden, nicht mit dem übereinstimmte, was er von mir erwartete; daher mußte er mein Bemühen um eine rationale Erklärung ablehnen, wie er es mit allem tat, was nicht in sein System paßte.
    Kurz bevor wir uns auf den Weg machten, zerstreute Don Juan meine Befürchtungen, Peyote zu mir nehmen zu müssen, indem er mir sagte, daß ich nur als Beobachter an der Zusammenkunft teilnehmen solle. Ich war erleichtert. Zu dem Zeitpunkt war ich beinah sicher, daß ich das Geheimverfahren entschlüsseln würde, durch das die Teilnehmer zur Übereinstimmung gelangen.
    Es war später Nachmittag, als wir aufbrachen; die Sonne stand knapp über dem Horizont. Ich spürte sie im Genick und wünschte, ich hätte eine Jalousie am Rückfenster meines Wagens. Von der Höhe eines Berges blickte ich in ein weites Tal hinab; die Straße zog sich wie ein schwarzes Band durch den Talkessel und führte über unzählige kleinere Berge hinauf und hinab. Einen Augenblick, bevor die Straße sich bergab neigte, verfolgte ich sie mit den Augen; sie zog sich nach Süden hin, bevor sie sich in der Ferne hinter einer Reihe niedriger Berge verlor.» Don Juan saß schweigend neben mir und blickte gradaus. Eine ganze Weile schon hatten wir kein Wort miteinander gewechselt. Im Innern des Wagens war es unangenehm heiß. Ich hatte alle Fenster

Weitere Kostenlose Bücher