Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
Rückwärtsrollen in sitzender Haltung, bis er mit dem Kopf den Boden berührte. Offenbar gelang es ihm, diese unglaubliche Stellung einzunehmen, indem er sich mehrmals nach hinten fallen ließ und Schwung holte, bis die Trägheitskraft seinen Körper in den aufrechten Stand führte, so daß er einen Moment »auf dem Kopf saß«.
Als ihr Gelächter sich gelegt hatte, sprach Don Juan weiter. Sein Ton war sehr ernst. Ich änderte meine Haltung, um es mir bequem zu machen und mit voller Aufmerksamkeit zuzuhören. Er lächelte nicht wie sonst, wenn ich auf das, was er sagt, betont zu achten versuche. Don Genaro sah mich an als erwartete er, ich würde gleich wieder schreiben, aber ich machte keine Aufzeichnungen mehr. Don Juans Worte enthielten einen Verweis dafür, daß ich nicht mit den Pflanzen, die ich sammelte, sprach, wie er es mir immer wieder befohlen hatte. Er sagte, die Pflanzen, die ich tötete, hätten ebensogut mich töten können. Er meinte, er sei sicher, daß sie mich früher oder später krank machen würden. Er fügte hinzu, wenn ich infolge der Schmerzen, die ich den Pflanzen zugefügt hatte, krank würde, so würde ich diese Tatsache sicher abstreiten und glauben, es sei nur die Grippe. Wieder hatten die beiden einen kurzen Heiterkeitsausbruch, und dann wurde Don Juan ernst und sagte, daß mein Leben, solange ich nicht an meinen Tod dächte, nur ein persönliches Chaos sei. Er machte ein sehr ernstes Gesicht. »Was hat der Mensch sonst, außer seinem Leben und seinem Tod?« sagte er zu mir. An diesem Punkt hielt ich es für notwendig, mir Notizen zu machen und begann wieder zu schreiben. Don Genaro schaute mich unverwandt an und lächelte. Dann neigte er seinen Kopf ein wenig zurück und riß seine Nasenlöcher auf. Anscheinend konnte er die entsprechenden Muskeln bemerkenswert gut beherrschen, denn sie dehnten sich auf das Doppelte ihrer normalen Größe.
Das Komische an seinen Spaßen waren weniger seine Gebärden als vielmehr seine eigenen Reaktionen darauf. Nachdem er seine Nasenlöcher aufgerissen hatte, ließ er sich lachend fallen und brachte seinen Körper wieder in dieselbe seltsame, verkehrte, auf dem Kopf sitzende Haltung. Don Juan lachte, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen.
Ich war etwas verwirrt und wurde nervös. »Genaro mag das Schreiben nicht«, erklärte Don Juan. Ich legte meine Aufzeichnungen beiseite, aber Don Genaro versicherte mir, ich solle ruhig schreiben, er habe nicht wirklich etwas dagegen. Ich nahm meine Notizen wieder auf und begann zu schreiben. Er wiederholte seine übermütigen Bewegungen, und beide reagierten genauso wie vorhin, l inmer noch lachend, blickte Don Juan mich an und sagte, daß sein Freund mich nachahmte, daß ich die Angewohnheit hätte, beim Schreiben meine Nasenlöcher aufzureißen; und daß Don Genaro den Versuch, ein Zauberer zu werden, indem man sich Notizen darüber machte, genauso absurd fand wie den Versuch, auf dem Kopf zu sitzen; darum hätte er diese lächerliche Stellung eingenommen, bei dem das Gewicht seines sitzenden Körpers auf dem Kopf ruhte.
»Vielleicht findest du das nicht besonders komisch«, sagte Don Juan, »aber nur Genaro ist imstande, auf dem Kopf zu sitzen, und nur du bringst es fertig zu glauben, du könnest ein Zauberer werden, indem du dir aufschreibst, wie es gemacht wird.« Beide bekamen wieder einen explosionsartigen Lachanfall, und Don Genaro machte noch einmal seine unglaubliche Bewegung.
Ich hatte ihn gern. In seiner Art lag so viel Anmut und Unmittelbarkeit.
»Ich bitte um Verzeihung, Don Genaro«, sagte ich und deutete auf meinen Schreibblock. »Schon gut«, sagte er und kicherte.
Ich konnte nicht mehr schreiben. Sie sprachen noch lange davon, wie Pflanzen einen töten konnten und wie sich Zauberer diese Eigenschaft der Pflanzen zunutze machten. Beide sahen mich beim Sprechen unverwandt an, als erwarteten sie, daß ich mitschriebe.
»Carlos ist wie ein Pferd, das den Sattel scheut«, sagte Don Juan. »Du mußt sehr behutsam mit ihm sein. Du hast ihn erschreckt, und jetzt will er nicht mehr schreiben.« Don Genaro blähte seine Nüstern und bat spöttisch, mit gerunzelter Stirn und gespitztem Mund: »Komm schon, Carlitos, schreib doch, schreib bis dir der Daumen abfällt.«
Don Juan stand auf, streckte seine Arme und bog den Rücken durch. Trotz seines hohen Alters schien sein Körper kräftig und geschmeidig. Er ging ins Gebüsch neben dem Haus, und ich blieb mit Don Genaro allein. Er schaute
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