Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
ein weißlicher Vorhang, der über den grünen Gipfeln wehte. Im Osten lag ein langes, tiefes Tal; dort hingen nur verstreute Wolken am Himmel, und die Sonne schien in das Tal. Der Gegensatz zwischen den beiden Gebieten war wundervoll. Wir blieben am Fuß des Wasserfalls stehen; er war etwa fünfzig Meter hoch; sein Donnern war sehr laut. Don Genaro schlang einen Gürtel um seine Hüften. Es hingen wenigstens sieben Gegenstände daran. Sie sahen aus wie kleine Flaschenkürbisse. Er nahm den Hut ab und ließ ihn an einer um den Hals geschlungenen Schnur über den Rücken hängen. Er band sich ein Stirnband um, das er aus einem aus dicker Wolle gewirkten Beutel nahm. Auch das bunte Stirnband war aus Wolle. Ein grelles Gelb stach am meisten hervor. Er befestigte drei Federn im Stirnband. Offenbar Adlerfedern. Ich bemerkte, daß er sie nicht symmetrisch verteilte. Eine Feder steckte über seiner rechten Ohrmuschel, eine war ein paar Zentimeter weiter vorn, und die dritte steckte über seiner linken Schläfe. Dann zog er die Sandalen aus, hakte oder band sie am Hosenbund fest und zog den Gürtel über seinen Poncho. Der Gürtel schien aus geflochtenen Lederstreifen zu bestehen. Ich konnte nicht feststellen, ob er ihn zusammenknotete oder -schnallte. Don Genaro ging zum Wasserfall. Don Juan brachte einen runden Stein in eine feste Lage und setzte sich drauf. Die beiden anderen jungen Männer taten das gleiche mit ein paar Steinen und setzten sich zu seiner Linken. Don Juan deutete auf die Stelle rechts neben ihm und sagte, ich solle einen Stein holen und mich neben ihn setzen.
»Wir müssen hier eine Linie bilden«, sagte er und zeigte mir, daß die drei in einer Reihe saßen.
Mittlerweile war Don Genaro direkt am Fuß des Wasserfalls mitkommen und hatte begonnen, einen rechts hinaufführenden Pfad zu erklettern. Von dort, wo wir saßen, sah der Pfad ziemlich steil aus. Es gab eine Menge Sträucher, die er als Geländer benutzte. Irgendwann schien er den Halt zu verlieren und rutschte beinah ab, als wäre der Boden glitschig. Kurz darauf passierte dies noch mal, und mir kam der Gedanke, daß Don Genaro vielleicht zum Klettern zu alt war. Ich sah, wie er mehrmals ausrutschte und stolperte, bevor er die Stelle erreichte, wo der Pfad endete.
Ich erlebte einen Augenblick der Angst, als er begann, die Felsen hinaufzuklettern. Ich konnte mir nicht vorstellen, was er vorhatte. »Was tut er da?« fragte ich flüsternd.
Don Juan sah mich nicht an. »Offensichtlich klettert er«, sagte er. Don Juan schaute direkt zu Don Genaro hinüber. Sein Blick war starr. Seine Augenlider waren halb geschlossen. Er saß sehr aufrecht und ließ die Hände zwischen den Beinen auf der Kante des Steins ruhen.
Ich beugte mich etwas vor, um die beiden jungen Männer anzuschauen. Don Juan machte eine gebieterische Handbewegung, um mich in die Reihe zurückzuscheuchen. Augenblicklich zog ich mich zurück. Ich konnte nur einen kurzen Blick auf die jungen Männer werfen. Sie schienen genauso aufmerksam zu sein wie er.
Don Juan machte wieder eine Handbewegung und deutete in Richtung des Wasserfalls.
Ich schaute wieder hin. Don Genaro war ein ganzes Stück die Felswand hinaufgeklettert. In dem Moment, als ich hinsah, hockte er auf einem Sims und schob sich langsam, Zentimeter für Zentimeter, um einen riesigen Felsbrocken herum. Seine Arme waren ausgebreitet, als umarme er den Felsen. Er schob sich langsam nach rechts, und plötzlich verlor er den Halt. Ich schnappte erschrocken nach Luft. Einen Augenblick hing sein ganzer Körper in der Luft. Ich war sicher, er würde abstürzen, aber das tat er nicht. Seine Hand hatte irgendwo Halt gefunden, und sehr gewandt zog er seine Füße wieder auf den Sims. Bevor er sich weiterschob, drehte er sich um und schaute herüber. Es war nur ein kurzer Blick. Die Art, wie er den Kopf wandte, war jedoch so stilisiert, daß ich mich verwunderte. Ich erinnerte mich, daß er jedesmal, wenn er ausgerutscht war, dasselbe getan und zu uns rübergeschaut hatte. Ich war der Meinung, daß Don Genaro sich wegen seiner Ungeschicklichkeit genierte und sich umdrehte, um zu sehen, ob wir ihm zuschauten.
Er stieg noch weiter nach oben, verlor noch mal den Halt und hing gefährlich an einer überhängenden Felswand. Diesmal hielt er sich mit der linken Hand fest. Als er das Gleichgewicht wiedergewonnen hatte, drehte er sich um und schaute wieder rüber. Er glitt noch zweimal aus, bevor er die Spitze erreichte. Von dort, wo wir
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