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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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mich an, und ich wandte den Blick ab, weil er mich verwirrte. »Soll das heißen, daß du mich nicht mal anschauen willst?« fragte er gutgelaunt.
    Er blähte die Nüstern und ließ sie beben; dann stand er auf und ahmte Don Juans Bewegungen nach, indem er den Rücken krümmte und die Arme reckte, aber sein Körper wand sich mit übertriebenen Bewegungen. Es war eine wahrhaft unglaubliche Haltung, die ein außerordentliches Gefühl für Pantomime mit einem Sinn für das Lächerliche verband. Ich war hingerissen. Es war eine meisterhafte Karikatur von Don Juan.
    In diesem Augenblick kam Don Juan zurück und bemerkte die Gebärde und anscheinend auch ihre Bedeutung. Er setzte sich hin und lachte. »Aus welcher Richtung kommt der Wind?« fragte Don Genaro beiläufig. Don Juan wies mit einer Kopfbewegung nach Osten.
    »Ich sollte lieber in die andre Richtung gehen«, sagte Don Genaro mit völlig ernstem Gesichtsausdruck. Dann drehte er sich um und drohte mir mit dem Finger. »Und du achtest nicht weiter darauf, wenn du seltsame Geräusche hörst. Wenn Genaro scheißt, dann zittern die Berge.«
    Er sprang ins Gebüsch, und im nächsten Moment hörte ich einen eigenartigen Lärm, ein dumpfes überirdisches Grollen. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Ich schaute Don Juan an und erwartete einen Hinweis, aber er lachte aus vollem Hals.
17. Oktober 1968
    Ich erinnere mich nicht daran, in welchem Zusammenhang Don Genaro mir von der Beschaffenheit der »anderen Welt«, wie er es nannte, erzählte. Ein MeisterZauberer, sagte er, sei ein Adler oder besser, er könne sich in einen Adler verwandeln. Ein böser Zauberer dagegen sei ein Tecolote oder eine Eule. Ein böser Zauberer, sagte er, sei ein Kind der Nacht, und für einen solchen Mann seien der Berglöwe oder andere Wildkatzen und Nachtvögel, besonders die Eule, die geeigneten Tiere. Er sagte, daß die brujos liricos, die lyrischen Zauberer, was soviel bedeutete wie dilettantische Zauberer, andere Tiere - zum Beispiel die Krähe -bevorzugten. Don Juan lachte; er hatte schweigend zugehört. Don Genaro wandte sich zu ihm und sagte: »Das stimmt, wie du weißt, Juan.« Dann erzählte er, daß ein Meisterzauberer seinen Schüler auf eine Reise mitnehmen und wirklich durch die zehn Schichten der anderen Welt hindurchführen konnte. Der Meister, vorausgesetzt er war ein Adler, konnte bei der untersten Schicht beginnen und dann nacheinander durch alle Welten hindurchgehen, bis er die Spitze erreichte. Böse Zauberer und Dilettanten konnten bestenfalls, wie er sagte, durch drei Schichten hindurchgehen.
    Don Genaro beschrieb diese drei Schichten und sagte: »Du beginnst ganz unten, und dann nimmt dein Lehrer dich auf seinem Flug mit und bald - bum! - gehst du durch die erste Schicht; und etwas später - bum! - gehst du durch die zweite, und -bum! - gehst du durch die dritte...« Don Genaro führte mir - zehnmal bum! - alle bis zur zehnten Schicht der Welt vor. Als er endete, schaute Don Juan mich an und lächelte wissend.
    »Das Sprechen ist nicht Don Genaros Stärke«, sagte er, »aber wenn du für eine Lehre bereit bist, dann wird er dich etwas über das Gleichgewicht der Dinge lehren.« Don Genaro nickte zustimmend; er spitzte die Lippen und schloß halb die Augenlider. Ich fand das Mienenspiel köstlich. Don Genaro stand auf, Don Juan ebenfalls. »Nun gut«, sagte Don Genaro. »Gehen wir also. Wir können gehen und auf Nestor und Pablito warten. Sie müßten schon fertig sein. Am Donnerstag werden sie früh fertig.« Beide stiegen in mein Auto; Don Juan saß vorn. Ich fragte sie nicht lange, sondern startete einfach den Motor. Don Juan dirigierte mich zu einem Ort, wo, wie er sagte, Nestor wohnte; Don Genaro ging ins Haus und kam kurz danach mit Nestor und Pablito heraus, zwei jungen Männern, die seine Schüler waren. Sie stiegen alle in mein Auto, und Don Juan sagte, ich solle die Straße in die westlichen Berge nehmen. Wir ließen den Wagen am Rand des Sandwegs stehen und gingen am Ufer eines etwa fünf bis sechs Meter breiten Flusses entlang bis zu einem Wasserfall, der von dort, wo der Wagen stand, zu sehen war. Es war später Nachmittag. Die Szenerie war recht eindrucksvoll. Direkt über uns hing eine riesige, dunkle, bläuliche Wolke, die wie ein schwebendes Dach aussah; sie hatte eine scharf abgegrenzte Kante in der Form eines gigantischen Halbkreises. Im Westen, in den hohen Bergen der Cordillera Central, ging der Regen auf die Hänge nieder. Es sah aus wie

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