Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
Sagte, daß ich ganz nervös würde, wenn ich nicht reden konnte. »Dann wollen wir Spazierengehen«, sagte er.
Er führte mich zum Eingang einer Schlucht am Fuß der Berge. Es war ein Weg von etwa einer Stunde. Wir rasteten eine Weile, und dann führte er mich durch das dichte Unterholz zu einem Wasserloch. Das heißt, zu einer Stelle, die er als Wasserloch bezeichnete. Sie war so trocken wie die ganze Umgebung. »Setz dich mitten in das Wasserloch!« befahl er. Ich gehorchte und setzte mich hin.
'»Wirst du dich auch hierhersetzen?« fragte ich. Ich sah, wie er sich etwa zwanzig Meter von der Mitte des Wasserlochs entfernt, neben den Felsen am Fuß des Berges, eine Stelle zum Sitzen suchte. Von dort, sagte er, würde er mich beobachten. Ich saß und hatte die Knie an die Brust hochgezogen. Er korrigierte meine Haltung und befahl mir, das linke Bein unter dem Gesäß einzuschlagen und mein rechtes Bein anzuwinkeln, so daß das Knie hoch lag. Mit der rechten Faust sollte ich mich neben mir auf den Boden stützen und den linken Arm über der Brust anwinkeln. Er sagte, ich solle ihn anschauen und in dieser Haltung bleiben, entspannt, aber nicht lässig. Dann nahm er eine weiße Schnur aus seinem Beutel. Sie sah aus wie eine große Schlinge. Er legte sie um den Hals und streckte sie mit der linken Hand, bis sie straff gespannt war. Dann zupfte er die straffe Saite mit der rechten Hand. Sie machte ein dumpf vibrierendes Geräusch. Er lockerte den Griff, sah mich an und sagte, ich sollte in einen bestimmten Schrei ausbrechen, wenn ich spürte, daß irgend etwas über mich käme, während er die Saite zupfte.
Ich fragte, was denn über mich kommen sollte, und er sagte, ich solle den Mund halten. Er gab mir mit der Hand ein Zeichen, daß er anfangen wolle. Aber er tat nichts. Statt dessen ermahnte er mich nochmals. Er sagte, wenn mich etwas sehr Bedrohliches überkommen würde, dann sollte ich eine Kampfform anwenden, die er mich vor Jahren gelehrt hatte und die darin bestand, zu tanzen, und zwar mußte ich mit der linken Fußspitze auf den Boden schlagen und mich dabei kräftig auf den linken Schenkel klopfen. Diese Kampfform gehörte zu einer Verteidigungstechnik, die in Fällen extremer Not und Gefahr anzuwenden war. Einen Moment war ich sehr ängstlich. Ich wollte fragen, warum wir hierhergekommen waren, aber er ließ mir keine Zeit und begann die Saite zu zupfen. Er tat dies mehrmals in regelmäßigen Abständen von etwa zwanzig Sekunden. Ich bemerkte, daß er, während er weiterzupfte, die Spannung der Saite verstärkte. Deutlich sah ich, wie seine Arme und sein Hals vor Anstrengung zitterten. Das Geräusch wurde lauter, und dann bemerkte ich, daß er jedesmal, wenn er die Saite zupfte, einen bestimmten Schrei ausstieß. Das kombinierte Geräusch der straffen Saite und der menschlichen Stimme erzeugte einen unheimlichen, überirdischen Widerhall. Ich hatte nicht den Eindruck, daß mich irgend etwas überkam, aber der Anblick von Don Juans Anstrengung und das furchterregende Geräusch, das er hervorbrachte, versetzten mich beinah in Trance. Don Juan lockerte den Griff und sah mich an. Während er spielte, wandte er mir den Rücken zu und schaute, genau wie ich, nach Südosten. Er entspannte sich und schaute mich an.
»Schau mich nicht an, wenn ich spiele«, sagte er. »Aber schließ auch nicht die Augen. Auf keinen Fall. Schau vor dir auf den Boden und horche.« Er spannte die Saite wieder und begann zu spielen. Ich schaute zu Boden und konzentrierte mich auf das Geräusch, das er machte. Nie im Leben hatte ich etwas Ähnliches gehört. Ich fürchtete mich sehr.
Der unheimliche Klang erfüllte die enge Schlucht und rief ein Echo hervor. Das Geräusch, das Don Juan erzeugte, kam von überall her als Echo zu mir zurück. Don Juan mußte dies ebenfalls bemerkt haben und verstärkte die Spannung seiner Saite. Obwohl Don Juan den Ton verstärkte, schien das Echo abzuklingen, und dann schien es sich auf einen Punkt im Südosten zu konzentrieren. Don Juan verringerte allmählich die Spannung der Saite, bis ich schließlich nur noch ein dumpfes Schwirren vernahm. Dann tat er die Saite in seinen Beutel zurück und kam zu mir. Er half mir aufzustehen. Ich bemerkte, daß meine Arm- und Beinmuskeln steinhart waren. Ich war buchstäblich in Schweiß gebadet. Ich hatte nicht bemerkt, daß ich so stark schwitzte. Schweißtropfen rannen mir brennend in die Augen. Don Juan schleppte mich praktisch von dort weg. Ich wollte etwas
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