Eine angesehene Familie
entfernen uns wieder voneinander. Es war eine wunderschöne Zeit mit dir – aber hat sie sich nicht schon etwas überlebt? Natürlich liebe ich dich noch; man kann einen Mann, der so tief im Herzen lebte, nicht wegdenken. Aber die Liebe kann sich verändern, sie kann zu einem herrlichen Schmuckstück werden – zu einer Erinnerung, die aus dem Leben nicht mehr fortzudenken ist …«
»Blödsinn!« Barrenberg blieb stehen. Sein bulliger Körper bebte. »Noch lebe ich! Noch bin ich keine Erinnerung geworden! Noch kann ich angefaßt werden und kann selbst zupacken! – Was würdest du sagen, wenn ich mich von Maria trennte?«
»Das ist unmöglich.«
»Ich mache mich langsam mit diesem Gedanken vertraut. Dir zuliebe würde ich es tun.«
»Und deine Tochter?«
»Das ist der einzige Haken. Wir müssen warten, bis sie ihr Abitur gemacht hat. Wenn sie erst einmal studiert, ist der Weg für uns frei. Dann habe ich meine Pflicht als Vater voll erfüllt. Mit Maria werde ich mich arrangieren. Sie wird für alle Zeiten sorglos ihren Chopin und Liszt spielen können.«
»Das war immer eine Qual für dich, nicht wahr?«
»Ich hätte es nie geglaubt. Aber wenn ich müde von der Arbeit nach Hause komme – was empfängt mich? Eine Klavierserenade! Oder ein Nocturne. Oder eine Etüde in c-moll! Dann zittern mir schon an der Haustür alle Nerven.«
»Und wie wird es sein mit uns? Wenn du müde von der Arbeit nach Hause kommst, riechst du schon an der Haustür die Ölfarbe. Überall stehen Bilder herum, Zeichnungen, Collagen. An den Wänden hängen Plakatentwürfe. Das Tonband spielt lauten Jazz; ich kann am besten bei solcher Musik arbeiten. Ich habe einen farbverschmierten Kittel an, stinke nach Terpentin und sage zu dir: ›Liebling, hol dir was zu essen aus dem Kühlschrank. Ich muß unbedingt noch einen Entwurf fertig machen!‹ – Hört sich das besser an als Chopin oder Liszt?«
»Ich werde dir jeden Farbfleck aus dem Gesicht küssen!«
»Vielleicht einen Monat lang. Im zweiten Monat wirst du herumknurren, im dritten meckern, im vierten auf den Tisch schlagen.«
»Durchaus nicht! Weil es nämlich nicht mehr nötig wäre! Meine Frau braucht nicht zu arbeiten! Es gäbe keinen Auftraggeber mehr, der sagt: Das Plakat muß bis zum soundsovielten fertig sein!«
»Du bist eine tragische Figur.« Bettina ergriff Barrenbergs Hand und streichelte sie. »Du, der amusischste Mensch, der lieber einen Haufen Ziegelsteine betrachtet, als daß er eine Sinfonie von Beethoven hört, gerätst immer an künstlerische Frauen! Ein ungerechtes Schicksal! Die eine ist Pianistin, die andere malt. Voice, ich würde nie meinen Beruf aufgeben, auch an deiner Seite nicht. Meine Arbeit, Malen, Entwerfen, Gestalten – das ist keine Qual für mich. Es ist mein Leben. Begreifst du das?«
»Nein!« sagte Barrenberg ehrlich.
»Könntest du ohne deinen Beruf sein?«
»Aber ja! Sofort! Ein Haus am weißen Strand der Bahamas, faulenzen, lesen, dich lieben, das Leben voll genießen.«
»Das nennst du genießen?«
»Ich weiß, was es heißt, Sklave seines Berufs zu sein!«
»Kein Künstler betrachtet sich als Sklave seines Berufs. Er mag unter ihm stöhnen, aber er braucht diesen Druck. Er gehört zur Schöpfung.« Sie lachte, als sie Barrenbergs ratloses Gesicht sah, und plötzlich tat er ihr unendlich leid, wie er so dastand, mit hängenden Armen, ein Mann, der einer Liebe nachjagt, von der er glaubt, sie sei das letzte große Abenteuer, die Basis eines Neubeginns, der unter anderen Vorzeichen stehen würde als die mühevolle erste Hälfte seines Lebens. »Mein Armer!« sagte sie. »Wenn wir immer zusammenleben würden – es wäre die Hölle!«
»Mein Gott, wie redest du plötzlich!« rief Barrenberg.
»Nicht plötzlich.«
»Solche Ansichten hast du nie geäußert!«
»Du hast auch nie gesagt, daß du dich von Maria trennen willst.«
»Ich weiche Entscheidungen jetzt nicht mehr aus!«
»Deshalb lasse ich auch nichts im Unklaren. Du mußt wissen, für was du dich entscheidest. Später darüber zu klagen, würde dir nicht mehr helfen.«
»Ich liebe dich!« rief Barrenberg. »Was willst du noch mehr hören?«
»Ein vernünftiges Wort.«
Barrenberg starrte Bettina an, als habe sie in einer fremden Sprache gesprochen. Er strich mit beiden Händen über das Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Was – was ist denn unvernünftig?« fragte er hilflos. »Betty, ich habe mein Leben auf dich eingestellt. Jetzt stehen wir vor dem entscheidenden
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