Eine angesehene Familie
Barrenberg erhob sich abrupt. »Adieu!« sagte sie. »Sie boxen ins Leere, Herr Makaroff. Ich werde meinem Mann alles sagen.« Sie streckte ihre Hand aus. »Geben Sie mir die Fotos, damit ich sie ihm zeigen kann.«
Makaroffs Lächeln wurde nachdenklich. Sie hat den Mut, es wirklich zu tun, dachte er. Es soll Hasen geben, die in ihrer Verzweiflung auch den Fuchs angreifen. Und Skorpione in einem Feuerkreis töten sich selbst, heißt es. Das aber wäre nicht die Rache, die ich mir in den Kopf gesetzt habe. »Das würde dir Eduard nie verzeihen.«
»Doch! Wenn ich ihm sage, wie alles gekommen ist!«
Da hat sie sogar recht, dachte Makaroff. Barrenberg würde vor Vergeltungswut platzen. Sie weiß ja nichts von den Verstrickungen, und ihr jetzt von Bettina zu erzählen, wäre völliger Unsinn. Sie würde jedes Schuldgefühl zurückdrängen und diese Fotos gegen Eduards Untreue aufrechnen.
»Er wird es nie glauben, mein Liebes. Welcher Mann, der solche Fotos sieht, ist noch bereit, Erklärungen entgegenzunehmen?« Makaroff griff nach Marias Hand, aber sie riß sie sofort nach hinten. »Schade, ich habe gedacht, ich könnte dich glücklich machen.«
»Ich bin glücklich mit meiner Familie. Versuchen Sie nie wieder, mit mir Kontakt aufzunehmen! Ich werde die Polizei rufen!«
»Die Polizei«, sagte Makaroff genüßlich, »ist nicht dafür da, die Hand davor zu halten! Der Beruf wäre sonst überlaufen.«
»Ich will Sie nie wieder sehen!« Maria Barrenberg ging um den runden Tisch herum. »Machen Sie mit den Fotos, was Sie wollen. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe!«
Makaroff sprang auf, aber sie hatte die Bar schon verlassen und ging mit weit ausgreifenden Schritten durch die Halle zu der gläsernen Drehtür. Es wäre zu auffällig gewesen, hinter ihr herzulaufen und sie zurückzuhalten. Was wollte er ihr noch sagen? Die Begegnung war anders ausgegangen, als er es sich vorgestellt hatte. Maria Barrenberg war beim Anblick der Fotos nicht zusammengebrochen – sie kämpfte und bewies eine Seelenstärke, die er ihr nicht zugetraut hatte. Sie war so stark, daß sie bis an die Grenze der Selbstvernichtung ging. Das war eine große Überraschung.
Makaroff blieb in der Hotelhalle stehen, zündete sich eine Zigarette an und sah einen Schwarm Mädchen, die sich an die Rezeption drängten und ihre Schlüssel bekamen: Mannequins, die zu Modeaufnahmen nach Frankfurt gekommen waren. Große, superschlanke Körper, von ständigem Hunger gequält.
Die Tochter, dachte Makaroff-Petrescu. Monika Barrenberg ist labiler. Die Generation der Fragenden, Unzufriedenen, Unausgefüllten, Alleingelassenen. Eine Generation ohne Härte und Tiefgang. Eine Generation, die nicht ohne Stimulation leben kann. Die Opfer ihrer Väter und Mütter, die nur dem Wohlstand nachjagten, seit sie den Krieg mit heiler Haut überstanden hatten. So erklärt man sich das Phänomen dieser labilen Jugend, so erklären es Väter und Mütter. Die Jugend nennt es anders. Für sie ist das Leben einfach beschissen. Warum es beschissen ist, darüber reden sie stundenlang ohne Inhalt. Wie soll man sie verstehen, wenn man selbst über dreißig ist? Ein Trost ist, daß sie selbst einmal dreißig sein und dann die neue Generation nicht mehr verstehen werden.
Monika Barrenberg. Zuerst hatte ich angenommen, es werde mit ihr schwieriger werden als mit der Mutter. Offenbar ein Irrtum. Sie wird nicht so nervenstark sein wie Maria Barrenberg. Wer hätte das gedacht!
Der nächste Tag brachte nichts Neues.
Monika war in der Schule, und Maria saß alleine in der großen Villa, spielte auf dem Flügel Tschaikowskij und Schubert, rief ihre Freundin Ljuba Antonowna an, die mit ihrem Mann im Streit lag, weil er bei der letzten Party auf silbernem Tablett einen Schweinskopf hatte servieren lassen, mit einem Band um den Hals, auf dem ›Rainer Brekkenfeldt‹ stand. Brekkenfeldt war der Leiter des zuständigen Finanzamts, und alles wäre nicht so schlimm gewesen, wenn Brekkenfeldt nicht auch Gast dieser Party gewesen wäre. So kam es zum Eklat. Max Rolle lachte sich halb krumm und schrie: »Mir kann keiner! Meine Buchhaltung stimmt! Ich bin steuerehrlich!« Er liebte solche üblen Scherze, und Ljuba schämte sich jedesmal bis in den Erdboden.
Gegen Mittag rief Eduard aus Florenz an. Er teilte mit, daß alles Mist sei, stinklangweilig, die Konferenzen und Vorträge nur Blabla, außerdem habe man 34 Grad, er schwitze wie eine Sau, das Bier sei miserabel, das Hotel zu laut, er wäre
Weitere Kostenlose Bücher