Eine angesehene Familie
der Leine, seine Rückenhaare sträubten sich, seine schnüffelnde Nase zeigte auf ein altes Haus, das seit einem Jahr leerstand, zum Abbruch bereit. Davor stand ein großes Schild: Betreten verboten! Einsturzgefahr.
Ferdinand Apfel sah seinen Purzel mißbilligend an, sagte: »Nun spinn mal nicht! Komm weiter!« und zerrte an der Leine. Aber der Hund, eine Mischung aus Dackel und Spitz, stemmte seine kleinen Beine dagegen, knurrte aus tiefem Hals und benahm sich zum ersten Mal seit langer Zeit aufsässig gegen seinen Herrn. Rentner Apfel ließ die Leine locker und folgte Purzel, der ihn in das verfallene Haus zog. Dort blieb er an dem offenen Niedergang zum Keller stehen und verbellte, als sei er ein scharfer Jagdhund. Apfel zögerte erst, stieg dann doch die knirschende Holztreppe hinunter, sah im Kellerflur eine zusammengekrümmte Gestalt liegen und lief sofort wieder zurück auf die Straße. Von einer Bäckerei, zwei Straßen weiter, es war das einzige Geschäft, das um diese Zeit schon geöffnet hatte, rief er die Polizei an.
So wurde Freddy gefunden. Der Tatbestand war auch ohne große Untersuchung klar. Unter dem jugendlichen Toten, der so friedlich zu schlafen schien, fand man eine beim Sturz zerbrochene Plastikspritze.
»Nummer 369 in diesem Jahr!« sagte der Polizeimeister und alarmierte das I. Dezernat. »Wenn die Statistik stimmt … Es ist zum Kotzen!«
Was folgte, war Routinearbeit. Der Polizeiarzt stellte Tod durch Atemlähmung fest, hervorgerufen durch eine injizierte Überdosis Heroin. Der Goldene Schuß, einwandfrei. Nach ein paar Fotos wurde die Leiche in einem Zinksarg aus dem Haus getragen und in das Gerichtsmedizinische Institut der Universität gefahren. Dort untersuchte man Freddy gründlich, stellte fest, daß seine Leber und seine linke Niere zerstört waren und sein Allgemeinzustand dem eines notorischen Fixers angemessen war. Auch die Personalien konnte man anhand von verschmutzten Papieren feststellen: Fritz Hartmann, Musiker, ohne festen Wohnsitz.
Bei der morgendlichen Lagebesprechung der einzelnen Dezernate im Polizeipräsidium stand Freddy bereits auf der Liste. Der Chef einer seit einem Jahr arbeitenden Sonderkommission ›H‹, der Kriminalhauptkommissar Herbert Döhrinck, referierte über diesen 369. Toten der deutschen Drogenszene.
»Der Tod von Fritz Hartmann erfolgte nach einem Schuß mit fast 90prozentigem Heroin, wie Rückstände in der Injektionsspritze beweisen. Bei Razzien haben wir bereits festgestellt, daß ein neuer Typ von H in den Handel gekommen ist. Nachdem es der Hamburger und Amsterdamer Polizei in Zusammenarbeit mit Interpol gelungen ist, den größten und gefährlichsten Heroinring zu sprengen, den von Singapur-Chinesen beherrschten Geheimbund ›Ah Kong‹, was ›Gemeinsamer Topf‹ bedeutet – an dessen Spitze stand der in Hamburg einsitzende Khen Lim Lin –, hat der Heroin-Nachschub aus dem sogenannten ›Goldenen Dreieck‹ Laos-Burma-Thailand merklich nachgelassen. Die sogenannten Hongkong-Rocks, minderwertige Destillate des Schlafmohns von nur 35prozentiger Reinheit, die über Hongkong und Singapur auf dem Flug-, Schiffs- und Landweg vor allem nach Amsterdam und London kamen, sind heute für die Drogenszene uninteressant geworden. In die Lücke sprangen voll die Türken ein, unterstützt von Afghanistan, Pakistan, dem Iran, Irak und Libanon. Vor allem die Türkei lieferte H in einer solchen Reinheit und zu einem solch niedrigen Kampfpreis, daß ein Schuß heute so billig ist wie eine Flasche Sekt. Ein Volksvergnügen! Die Folgen, die furchtbaren Folgen sehen wir mit fast ohnmächtigem Zorn: Die Fixerszene wächst und wächst. Bis heute haben wir 60.000 jugendliche Drogenabhängige registriert; die Dunkelziffer ist dreimal höher! Vor allem aber: Die Opfer des Goldenen Schusses werden immer zahlreicher, weil die neue Ware in ihrer Reinheit die Abhängigkeit vom H potenziert, so daß es geradezu lächerlich einfach ist, sich in die Ewigkeit zu katapultieren.«
Herbert Döhrinck, der über drei Jahre Fronterfahrung in der Frankfurter Drogenwelt hatte, nahm eine Rolle von seinem Stuhl, ging nach vorn und entrollte eine Landkarte des Vorderen Orients. Ein Polizeibeamter hielt sie hoch, da man keinen Kartenständer bereitgestellt hatte. Döhrinck griff in Ermangelung eines Zeigestocks nach einem Bleistift.
»Unsere Recherchen und die Verhöre von Türken, die H nach Frankfurt brachten – es handelt sich da um Gastarbeiterfamilien, die dadurch ihr
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