Eine angesehene Familie
Gaziantep in Großlaboratorien gekocht wird. Dann übernehmen kurdische Großhändler die Ware. Diese kurdischen Rauschgifthändler sind die gefährlichsten, die bis heute aufgetaucht sind. Den Chinesen ging es nur um Geld – aber hier haben wir es mit Fanatikern zu tun, denen jedes Mittel recht ist, um Geld für ihre Waffen und für die Befreiung ihres Volkes zu bekommen! Das Heroin ist zum politischen Kampfmittel geworden!«
Döhrinck trat von der Karte zurück.
In dem großen Raum war es still. Jeder der anwesenden Beamten war ein Fachmann auf seinem Gebiet. Frankfurt galt als ein Pflaster, auf dem sich die großen internationalen Verbrecher wohlfühlten. In Frankfurt wurde das Geld verwaltet, hier hatten die Bankzentralen ihre Hochhäuser in den Himmel wachsen lassen, hier war die Drehscheibe des großen Kapitals. Das Manhattan Deutschlands – so nannten Insider die aus allen Nähten platzende Stadt am Main. Es war fast selbstverständlich, daß auch der internationale Rauschgifthandel, verwaltet wie ein Industriebetrieb, über Frankfurt in die anderen Länder lief, nachdem Amsterdam und Hamburg sich als zu provinziell erwiesen hatten. Die Ausweitung der Drogensucht verlangte eine straffe Organisation. Der Stoff für die Heroinsüchtigen kam aus verschiedenen Kanälen hereingeströmt: aus dem Goldenen Dreieck das H Nr. 3 mit einem ›miesen‹ Reinheitsgrad, gebraut in den Dschungelküchen von Mae Salong und Ban Hin Taek, am Mekong und im Hochland von Laos, das neuerdings sofort weitergeleitet wurde in weniger verwöhnte Länder als Deutschland, und das H Nr. 4 – ›Afghanen‹ und ›Türken‹, das von Frankfurt aus weit verzweigt nach Mitteleuropa floß.
Der Chef der Kriminalpolizei, ein leitender Kriminaldirektor, blickte zu seinem Hauptkommissar auf. Es war eine stumme Frage. Döhrinck verstand sie und wischte sich über die Stirn.
»Wir haben deutliche Hinweise darauf«, sagte er, »daß hier in Frankfurt eine der Zentralgestalten der Rauschgiftszene lebt. Während die kurdischen Anlieferer als Freiheitskämpfer privat keinerlei finanzielle Interessen haben, sondern nur Waffen kaufen wollen, kommt das Heroin hier in Frankfurt in absolut kommerzielle Hände. Hier werden Millionengewinne gemacht, die kaum abschätzbar sind! Auch wenn das türkische Heroin die Weltmarktpreise total ins Wanken gebracht hat und jeder Fixer sich heute eine reine Nadel leisten kann, ist das Geschäft phänomenal. Ein einziger Mann – das haben wir bei den Verhören herausbekommen – soll hier das ganz große Geld machen. Seinen Namen kennt niemand, keiner hat ihn gesehen, es gibt auch keine Spur, sondern nur das fast mystische Wissen, daß es ihn gibt! Er ist eine Sagengestalt geworden: Der Große Bruder! – Es ist wie immer; der Große Bruder kann hier irgendwo in einem Bürohochhaus sitzen, ein beliebter Boß sein, ein allseits geachteter Mann mit einem ehrenwerten Beruf. Wenn uns nicht der Zufall hilft …«
»Der liebe Kollege Kommissar Zufall!« sagte der Polizeipräsident. »Was hat der nicht schon alles geleistet!«
»… oder ein Wink aus der Unterwelt«, fuhr Döhrinck fort, »die klassische Form des Konkurrenzkampfes. Die andere klassische Form haben wir schon gehabt: Die Liquidation von unsicheren Mitarbeitern auf offener Straße. Es gibt also einen Machtkampf in der Frankfurter Rauschgiftszene – und das ist unsere große Chance! So zynisch es klingt: Man sollte sich wünschen, daß die alte Chikagoer Zeit wieder auflebt, wo sich die Konkurrenten gegenseitig umbrachten. Dann können wir vielleicht klarer sehen! Im Augenblick ist Mattscheibe!«
Nach einer Stunde löste sich die morgendliche Lagebesprechung auf. Was die anderen Kommissariate zu berichten hatten, war gegen Döhrincks Vortrag fader Alltag. Selbst der Überfall auf einen Juwelier in der Innenstadt, ohne Blut, mit einer Beute im Werte von schätzungsweise 650.000 Mark, konnte keinen mehr aufregen. Der Juwelier war voll versichert. Aber was Döhrinck gesagt hatte, lastete allen Zuhörern auf der Seele: Schon heute sind über zwei Prozent der 17- bis 30jährigen in Frankfurt abhängig vom Heroin! Opfer des weißen Giftes, deren Aussichten auf Rettung gleich Null sind! Und die Lawine wächst von Tag zu Tag, von Druck zu Druck. Jede Nadel in die Vene schafft einen neuen Unheilbaren …
Im Büro der neuen Sonderkommission H saß Döhrinck einem blassen, hageren, verwildert aussehenden Menschen gegenüber, den der Streifenwagen gerade mitgebracht
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