Eine Art von Zorn
Sie Ihre Reportertätigkeit.‹ Und wie gings dann weiter? ›Wir sind ein Magazin. Wir raufen uns nicht mit Tageszeitungen und Fernsehen um Schlagzeilen und Knüller. Sie bringen Nachrichten. Wir interpretieren Nachrichten und machen Geschichte daraus.‹ Ist es nicht ein bißchen spät, um die Grundregeln zu ändern?«
»Niemand ändert hier Regeln, Sy.« Die Stimme war klebrig vor lauter Wonne. »Wir probieren bloß, mit Phantasie an unsere Arbeit heranzugehen, ich jedenfalls probiere es, und ich hoffe, Sie folgen mir dabei. Und jetzt denken Sie einmal nach: Keine der Tageszeitungen hat eine Spur gefunden. Warum nicht? Weil sie sich damit begnügt haben, die französische Polizei auszuhorchen. Wir wissen jetzt, daß sich die Polizei kein Bein ausgerissen hat. Jetzt sind wir an der Reihe.«
Sy war so aggressiv wie nur möglich. »Wer darf’s denn sein?« fragte er.
»Sie kennen Ihre Leute selbst am besten. Wo ist Parry jetzt?«
»Zur Berichterstattung bei den Bonner Gesprächen. Sie haben ihn dorthin geschickt.«
»Ja, das habe ich.« Er versuchte erfolglos, so zu tun, als habe er das vergessen.
»Was ich sagen will, Chef, ist, daß wir unsere Zeit verschwenden. Alle großen Nachrichtenagenturen haben ihre Leute auf die Spur angesetzt, und sie mußten aufgeben. Was die Polizei betrifft, so spielt ihr Verhalten keine Rolle. Entweder hat sie nach der Frau gesucht und sie nicht gefunden. Dann werden wir sie auch nicht finden. Oder sie weiß, wo sie zu finden wäre, sagt es uns aber nicht. Dann sind wir auch nicht weiter.«
»Auch dann nicht, wenn ich Ihnen sage, wo Sie weitersuchen müssen?« Man konnte sein albernes Grinsen fast sehen, als er das sagte.
Sy unterdrückte seine Wut. »Ist das eine C.I.A.-Information, Chef, oder können Sie es nicht sagen?«
»Verdammt noch mal! Natürlich kann ich es am Telefon nicht sagen! Alle nötigen Informationen finden Sie morgen im ›Sack‹. Wen wollen Sie mit der Sache betrauen? Was macht eigentlich der deutsche Spinner, den Sie dort haben, im Moment?«
Sy nahm den Hörer in die linke Hand. Nach kurzem Zögern sagte er: »Ich weiß nicht, wen Sie meinen, Chef.«
»Herrgott noch einmal! Natürlich den, der diese ekelhafte Geschichte über den Tuntenklub geschrieben hat. Pete Soundso …«
Sy warf mir einen verstörten Blick zu. Dann sagte er: »Wenn Sie Piet Maas meinen, dann können Sie ihn gleich selber fragen. Er hört am Nebenanschluß mit.«
»Übrigens bin ich Holländer, nicht Deutscher«, sagte ich.
»Oh, entschuldigen Sie. Holländer also.« Den ›Spinner‹ nahm er nicht zurück. Der blieb. »Nun gut, jetzt …«
Ich sagte: »Ich möchte es Ihnen gleich sagen, Mr. Cust: Zum Detektivspielen tauge ich nicht.«
»Das ist auch meine Meinung«, schaltete sich Sy ein. »Für so etwas brauchen wir …«
»Wer verlangt denn von ihm, irgend etwas zu spielen ?« plärrte es aus dem Apparat. »Ich nehme an, er arbeitet für uns, nicht? Was tut er denn gerade?«
»Er studiert die Automobilproduktion im Gemeinsamen Markt, Chef«, sagte Sy schnell. »Er berechnet anhand von Zahlen und Fakten die Entwicklung der nächsten drei Jahre.«
In Wirklichkeit arbeitete ich an einem Artikel über moderne französische Maler, deren Werke von amerikanischen Kunstmuseen gekauft wurden. Aber Sy versuchte sich herauszuwinden. Mr. Cust ist gegen den Gemeinsamen Markt, daher wird dieser von World Reporter angegriffen. In dieser Schlacht ist die Pariser Redaktion quasi das Munitionslager, und Sy pflegte diese Tatsache gegen Pressionen von seiten der New Yorker Redaktion zu verwenden.
Diesmal hatte er damit allerdings keinen Erfolg. Mr. Cust zögerte einen Augenblick.
»Wer hat die Untersuchung angefordert?«
»Dan Cleary.«
»Gut, ich werd’s ihm sagen. Lassen Sie die Sache einstweilen liegen. Dies hier hat absolute Priorität.«
Sy versuchte es noch einmal. »Wenn die Sache wirklich so heiß ist, wie Sie sagen, Chef, dann sollte ich vielleicht besser Bob Parsons aus Rom kommen lassen oder selber der Geschichte nachgehen. Schließlich ist Piet Maas vor allem Rechercheur und …«
»Und genau einen Rechercheur brauchen Sie, Sy.« Man hörte der Stimme an, daß das sein letztes Wort war. »Pete, wachen Sie auf, versitzen Sie hier keine Zeit mehr, finden Sie die Schöne im Bikini. Sy, Sie sorgen dafür, daß er sie schnell findet. Okay?«
Sy murmelte etwas, und das Gespräch war zu Ende. Er schaltete das Tonbandgerät ab und schaute zu mir herüber.
Er ist ein ergrauter
Weitere Kostenlose Bücher