Eine Art von Zorn
ehrlich und unbestechlich, sagte sie. Als Patrick Ihnen eine Menge Geld anbot, damit Sie ihn deckten, lehnten Sie ab. Damals wollten Sie Ihre Zeitschrift nicht betrügen. Wie seltsam!«
»Das war etwas anderes.«
»Natürlich. Das war während des Tages. Sie betrügen Ihre Leute nur bei Nacht.« Das Lächeln verschwand, und ihre Augen blickten hart. »Sie sind wegen einer Story hierhergekommen, und Sie waren entschlossen, sie zu bekommen. Sie haben Patrick sogar gesagt, wie schnell Sie diese Story haben müßten – vor Freitag abend elf Uhr, New Yorker Zeit. Heute ist Freitag. Sie haben also noch mehr als zwölf Stunden, nicht wahr?«
Einfältigerweise sagte ich: »Oh, daran hatte ich nicht gedacht.« Es muß ebenso naiv wie unehrlich geklungen haben. Sie lachte zornig.
» Ich bin kein Trottel, Monsieur.«
»Das habe ich auch nicht angenommen. Es tut mir leid, aber ich habe übersehen, daß Sie allen Grund haben, mir zu mißtrauen. Sie glauben, daß ich vorgegeben habe, den Sangers zu helfen, bloß um Ihr Vertrauen zu gewinnen und dadurch für das Magazin mehr aus Ihnen herauszubekommen. Stimmt’s?«
»Was hätte ich sonst glauben sollen?«
»Philip Sanger hat mich dasselbe gefragt, bloß mit andern Worten.«
»Und was für eine Antwort haben Sie ihm gegeben?«
»Keine. Er beantwortete seine Frage gleich selber.«
Sie sah mich noch immer prüfend an, aber ich hatte ihre Neugier geweckt. Sie zuckte die Achseln. »Nun?«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich setze?«
Sie deutete auf einen Sessel, setzte sich aber selbst nicht; im Stehen dachte sie schneller; mir war das während des ersten Interviews aufgefallen. »Nun?« wiederholte sie.
»Er zweifelte nicht an meiner Ehrlichkeit«, sagte ich. »Was ihn interessierte, war, warum ich es tat. ›Was treibt Sie diesmal?‹ fragte er. ›Wieder der alte Drang zur Selbstzerstörung oder etwas Neues? Gibt Ihnen eine gesunde Wut Auftrieb?‹ Wissen Sie, warum er auf die Selbstzerstörung anspielte?«
»Nein.«
»Zu den traurigen Dingen, die Adèle erwähnte, gehört, daß ich mir einmal mit Schlaftabletten das Leben nehmen wollte.«
Jetzt hörte sie mir mit vollem Interesse zu. Sie kam zu mir und sah auf mich herab. »Sollte es mißlingen, oder war es ein Zufall?« fragte sie.
Das verriet mir sehr viel über sie. Die meisten Leute wollen höchstens wissen: ›Warum? Was machte das Leben so unerträglich, daß Sie es aufgeben wollten?‹ Andere wieder, und zwar diejenigen, die Lehrbücher gelesen haben, forschen scharfsinnig nach Selbsthaß. Nur sehr wenige kennen das tiefste Elend aus Erfahrung. Sie brauchen keine dummen Fragen zu stellen, nur die wesentliche: ›Haben Sie es wirklich versucht?‹
»Es sollte nicht mißlingen«, sagte ich. »Ich wurde eben eine Stunde zu früh ins Krankenhaus eingeliefert.«
»Und haben Sie es je wieder versucht?«
»Nein. Was Sanger meinte, war, daß ich mich jetzt möglicherweise andern Mitteln der Selbstzerstörung zugewandt hätte. Es kann zur Gewohnheit werden, wie Sie wissen. Man sagt zwar: ›Wenn einem etwas schadet, ist das noch kein Grund, es wieder zu tun.‹ Doch das ist falsch. Das kann ein Grund sein, und zwar ein sehr guter.«
»Psychologie!« Sie hielt sich die Nase zu, wie bei einem schlechten Geruch. »Und was ist der Grund für Ihre gesunde Wut?«
»Sanger glaubt, daß Sie es sein müßten.«
»Sind Sie wütend auf mich? Warum?«
»Ich bin nicht wütend auf Sie, ich habe eine Wut. Der Drachentöter gibt alles auf, um der Schönen in ihrer Bedrängnis beizustehen.«
»Das ist ja kindisch. Wir leben doch nicht im Märchenbuch.«
»Das ist Sangers Erklärung, nicht meine. Er meint auch, ich sei dem Zauber Ihrer körperlichen Reize erlegen.«
Sie sah belustigt drein. »Typisch Patrick. Er denkt immer gleich an das. Ein Romantiker.« Sie wurde wieder geschäftlich. »Manchmal hat er sich selbst etwas vorgemacht und es auch geglaubt. Das tue ich nicht.«
»Nun gut«, sagte ich. »Ich werde Ihnen eine andere Antwort geben. Der Grund, warum ich Sangers Geld nicht genommen habe, ist ganz einfach der, daß ich nicht ungeschoren davongekommen wäre. Der Grund dafür, warum ich den Leuten von der Zeitschrift gesagt habe, sie sollten sich zum Teufel scheren, wie Sie es nennen, ist der, daß ich den Vertrag mit ihnen brechen möchte. Ich möchte hinausgeworfen werden. Deshalb habe ich etwas getan, was vom beruflichen Standpunkt aus unverzeihlich ist. Ich habe meine Arbeit im dümmsten Augenblick und auf
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