Eine Art von Zorn
pflegen mehr zu wissen, als in den Akten steht. Was immer der Betreffende tut, mag er nun trinken, spielen oder fremdgehen, sie wissen es.«
Seine Augen begannen zu glänzen. »Und was haben Sie über diesen Herrn Besonderes herausgefunden?«
Ich zögerte. »Über ihn? Nicht viel. Er ist oft auf Geschäftsreisen. Sehr besorgt um seine Gesundheit. Gibt selten Einladungen, wenn er zu Hause ist, und dann nur für Ehepaare aus der Nachbarschaft. Spielt Bridge. Ein seriöser Mann. Andererseits …« Ich zögerte wiederum, dann zuckte ich die Achseln.
»Andererseits?« Er strahlte mich an.
»Nichts als Geschwätz. Für Sie von keinerlei Interesse.«
»Mich interessiert alles, Monsieur Mathis. Ich bin wie ein Schwamm und sauge alles auf.« Er bleckte wieder die Zähne.
»Nun gut … Ich hörte mehr über seine Frau. Wissen Sie, daß sie es ist, die sich um die Vermietung der Grundstücke kümmert, nicht ihr Mann?«
»Nein, das ist mir neu. Das ist sehr interessant. Was noch?«
»Es scheint, daß sie in einem der Häuser einen Freund wohnen hat, einen Busenfreund sozusagen, von dem ihr Mann nichts ahnt.«
Er schaute enttäuscht und rümpfte geringschätzig die Nase. »Das ist natürlich«, sagte er. »Wenn der Ehemann so viel weg ist, dann muß es doch irgend jemanden geben, einen Strandapollo, einen Gigolo aus einem der großen Hotels. Das ist zu erwarten.«
Ich schüttelte den Kopf und lächelte wissend, und ich glaube, das überzeugte ihn. »Nein. Hier ist es etwas anderes. Es ist kein junger Mann. Das Dienstmädchen hat sie am Telefon miteinander reden gehört. Es war eine Frau!«
Plötzlich wurde er ganz ruhig. Es war ein schwieriger Augenblick. Er wandte seine Augen nicht mehr von mir ab. Ich verwandelte mein erwartungsvolles Grinsen in den einfältigen Blick dessen, der sieht, daß sein Witz nicht angekommen ist. Endlich nickte er. »So?«
»Das hat man mir gesagt.« Ich leerte mein Glas.
Er beobachtete mich noch immer genau. »Woher wußte das Dienstmädchen, daß es sich um eine Frau handelte? Woher wußte es, daß es kein Mann war?«
»Wegen des Namens – Lucille, Lucy oder so ähnlich hieß sie, glaube ich.«
»Lucia vielleicht?« fragte er sanft.
»Vielleicht. Auf jeden Fall war es kein Mann.«
Wieder trat eine peinliche Stille ein. Dann: »Und der Gatte, Sanger, weiß nichts ?«
»Weiß der Ehemann in solchen Fällen je etwas?« Ich lachte albern und bestellte umständlich beim Kellner noch etwas zu trinken.
Obgleich ich den Köder schön präpariert hatte, war ich bloß auf ein vorsichtiges Anbeißen gefaßt gewesen. Ich hatte nicht erwartet, daß er ihn gleich auf einmal schlucken würde. Es war enervierend.
Zum Glück hatte er aufgehört, mich anzustarren. Er sah jetzt seltsam bedrückt aus und blickte ins Leere. Er hielt sein leeres Glas fest und bemerkte nicht, daß der Kellner es ihm abnehmen wollte. Endlich ließ er es los und sah wieder die Liste mit den Adressen an.
»Wo wohnen Sie, Monsieur Mathis?« fragte er plötzlich.
»Hier in Nizza.« Ich nannte ihm den Namen meines Hotels.
»Sind Sie da zu Hause?«
»O nein. Mein Zuhause ist in Lyon, aber ich sehe es nur übers Wochenende. Bei meinem Beruf muß man viel reisen.«
»Ich verstehe. Sind Sie verheiratet?«
»Ja. Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen.«
»Das ist schade.«
»Wieso?«
Diesmal entblößte sein Grinsen die Zähne bis aufs Zahnfleisch. »Ich hoffte, ich könnte Sie überreden, an diesem Wochenende auf ein paar Stunden Ihres Familienlebens zu verzichten«, sagte er freundlich. »Natürlich wäre dabei Geld zu verdienen.«
Ich zog ein langes Gesicht. »Ja, ich weiß nicht. Meine Frau erwartet mich heute abend.«
»Fahren Sie die ganze Strecke mit dem Wagen?«
»Nein, ich nehme den Train Bleu . Das geht schneller, und wenn ich will, kann ich ein Nickerchen machen.«
»Der Train Bleu hält in Marseille, nicht wahr?«
»Ja, warum?«
»Und Sète liegt nahe bei Marseille?«
»Nicht sehr. Es sind fast 200 Kilometer.«
»Dennoch könnten Sie heute abend dort sein, wenn Sie wollten.«
»Ich vermute.«
»Und nach einigen Stunden in Sète könnten Sie morgen abend wieder zu Haus sein?«
»Ja, zweifellos könnte ich das«, sagte ich unschlüssig.
»Vielleicht für fünfhundert Francs?«
»Was soll ich dort für Sie tun? Herausfinden, ob sich Sanger in irgendeinem seiner Häuser aufhält?«
»Nein. Natürlich bin ich an Sanger interessiert, wie ich Ihnen gesagt habe. Aber was ich nun gern wissen möchte,
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