Eine begehrenswerte Lady
dass er sich selbst überlassen war. Wutbebend stand er in der Eingangshalle und fragte sich, warum er es je für eine gute Idee gehalten hatte, nach High Tower zu kommen – auch wenn es seinen Zwecken diente.
Sophias Freundin hatte in ihrem Brief die Wahrheit geschrieben. Canfield hatte sich tatsächlich einen gewaltigen Fehltritt zuschulden kommen lassen. Nachdem er die Tochter eines Freundes seines Vaters verführt und ruiniert hatte und mit seiner Schandtat konfrontiert wurde, hatte er sich geweigert, das Mädchen zu heiraten.
»Zahl sie aus«, hatte er dem Herzog in der Bibliothek des palastartigen Stadthauses lässig erwidert. Sein Vater hatte ihn aus seinen blauen Augen wütend angestarrt, sodass Canfield sich auf seinem Stuhl zu winden begann und nachschob: »Es war eine Wette – ich habe sie gewonnen. Das ist alles.«
Ein heftiger Streit war darauf gefolgt, und als Canfield Ende Mai den Familiensitz verließ, war das in dem Wissen geschehen, dass sein Vater, der selbst ein alter Lebemann erster Güte war, kurz davorstand, ihn zu enterben. Er hatte seinen Vater zwar schon vorher mit seinen Taten verärgert, aber dieses Mal sah es ganz so aus, als sei er zu weit gegangen.
Gerüchte und Mutmaßungen darüber, dass er in Ungnade gefallen war, verbreiteten sich in der guten Gesellschaft in Windeseile. Bei seiner Rückkehr nach London mitten in der Saison war es Canfield nicht verborgen geblieben, dass Türen, die ihm einst offen standen, sich jetzt schlossen und dass sein Freundeskreis schwand. Nur ein paar kannten die Wahrheit, und während ihn die spärlicher kommenden Einladungen und der Umstand, dass einstige Freunde nicht länger Zeit für ihn hatten, schmerzten, litt er am meisten unter den finanziellen Einschränkungen, die der Herzog ihm auferlegt hatte. Sein Mund wurde schmal. Der verdammte alte Bastard hatte den schlechtesten Zeitpunkt gewählt, um ein Gewissen zu entwickeln.
Die gewinnbringende Verbindung zu Thomas Joslyn hatte ihn mit einem stetigen Geldzufluss versorgt, aber Joslyns Tod im März hatte alles geändert, und zu seinem Missfallen war kein Geld mehr bei ihm angekommen, sodass er verzweifelt versuchte, die Geldquelle wieder zum Sprudeln zu bringen. Das erwies sich jedoch als schwierig. Er hatte nur mit Joslyn zu tun gehabt, und der hatte ihn nicht in viele Einzelheiten eingeweiht. Canfield war sich vage bewusst gewesen, dass Joslyns Freund Lord Padgett wie er ein Geldgeber für den Schmuggel gewesen war. Padgett gehörte nicht zu Canfields Freundeskreis, und auch wenn sie sich kannten und in London immer wieder begegneten, hatten sie wenig miteinander zu tun; Joslyn war die einzige Verbindung zwischen ihnen gewesen.
Nach Joslyns Tod hatte sich Canfield, der keineswegs von dem Geldfluss abgeschnitten werden wollte, diskret an Padgett gewandt. Es war sehr merkwürdig gewesen, da Padgett so getan hatte, als wisse er nicht, wovon er redete, aber letztlich hatte der andere, ohne irgendetwas zuzugeben, ihm einen Namen genannt. Außer diesem einen Namen Edward Dudley, angeblich Joslyns Agent in London, wusste Canfield nichts. Ein Gespräch mit Dudley war notwendig geworden, sodass er sich mit tief ins Gesicht gezogenem Hut, um seine Züge zu verbergen, mit dem Mann in einer Kneipe am Rande der Hauptstadt getroffen hatte. Es war umständlich gewesen, aber sie waren sich einig geworden. Was zufriedenstellend funktioniert hatte, überlegte Canfield verstimmt und starrte im Foyer von High Tower vor sich hin, ohne allerdings wirklich etwas zu sehen, bis der Herzog seine Apanage auf das absolute Minimum gekürzt hatte.
Canfield zog finster die Brauen zusammen. Er hatte zum Zeitpunkt der hässlichen Szene in der herzoglichen Bibliothek bereits die zweite Quartalszahlung erhalten. Erst als er im Juli in seine Bank gegangen war, um Geld abzuheben, hatte er entdeckt, dass seine Apanage auf einen Bettel zusammengestrichen worden war. Über Dudley hatte ihn die Nachricht erreicht, dass eine Lieferung vom Kontinent in England eingetroffen war, und Canfield hatte eigentlich mit einem hübschen Gewinn für seine Investition gerechnet. Doch der Beutel Goldmünzen, den Dudley ihm verstohlen zusteckte, als sie sich in einer dunklen Ecke der bewussten Kneipe trafen, war leichter als gewohnt, und in ihm keimte der Verdacht auf, dass er betrogen wurde. Als er sich beschwerte, hatte Dudley nur die Schultern gezuckt.
»Sie müssen mit Nolles sprechen, wenn Sie unzufrieden sind«, hatte er erwidert. »Er
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