Eine begehrenswerte Lady
nicht komisch«, beschwerte sich Stanley und schaute die beiden böse an. »Ich bin da und gebe mir Mühe, euch die Hand zur Freundschaft auszustrecken, aber ihr beide schlagt sie nur aus.«
Silas schmunzelte und sagte:
»Ach, setz dich hin, Junge. Weißt du nicht, warum sie dich so aufziehen? Darf ich dich daran erinnern, dass wir nur Leute necken, die wir gern haben?«
Stanley wirkte einen Moment verblüfft, dann trat ein zögerndes Lächeln auf seine Lippen.
»Das stimmt, nicht wahr?«, sagte er und setzte sich neben Gillian.
»Ja, genau«, antwortete seine Schwester mit einem Zwinkern. »Und wir sind auch nur zu den Menschen unhöflich, die wir lieb haben. Ist dir noch gar nicht aufgefallen, wie übertrieben höflich man zu Leuten ist, die man gar nicht leiden kann?«
»Ja, ich nehme an, das stimmt auch«, erwiderte Stanley, und noch etwas fiel ihm auf. Seine Familie war immer ausgesucht höflich zu Canfield gewesen und so grob wie immer zu ihm. Jetzt freute ihn das.
Er schaute sich am Tisch um und fragte:
»Was sind eure Pläne für den Nachmittag?«
Silas ergriff das Wort.
»Wir haben nichts geplant. Die Damen ziehen sich gewöhnlich in ihre Zimmer zurück und amüsieren sich, während ich mir das Vorrecht der älteren Herren gönne und ein Nickerchen mache.«
Ehe sie weiterreden konnten, klopfte Meacham an und trat auf Silas’ Bitte hin ein.
»Mr. Luc Joslyn ist gekommen und bittet, vorgelassen zu werden«, erklärte er und schaute seinen Herrn an.
»Ausgezeichnet«, rief Silas, und seine Miene hellte sich auf. »Bringen Sie ihn herein.«
Stanley runzelte die Stirn.
»Ich weiß nicht, ob das klug ist. Ich finde, Mr. Joslyn pflegt einen viel zu vertraulichen Umgang mit dir.«
»Jetzt mach nicht alles wieder kaputt, was du gerade erreicht hast«, warnte Silas ihn. »Luc ist mein Freund, und ich freue mich jedes Mal, wenn ich ihn sehe. Es wäre gut, wenn du das nicht vergisst.«
»Ich wollte dich nicht kritisieren«, erwiderte Stanley kleinlaut. »Es ist nur, dass …«
»Ach, sei still«, schaltete sich Gillian ein und hoffte nur, niemand konnte hören, wie schnell ihr Herz jetzt auf einmal klopfte. Luc Joslyn war hier und bis zu diesem Moment hatte sie gar nicht gemerkt, dass sie die Tage gezählt hatte, bis sie ihn wiedersehen würde.
Einen Moment später schlenderte er herein, wie immer makellos gekleidet in einen blauen Rock mit Messingknöpfen und einer hellbraunen Nankinghose. Nachdem er alle begrüßt hatte und alle Einladungen, mit ihnen zu essen und zu trinken, abgelehnt hatte, nahm er zwischen Silas und Sophia Platz. Alle wollten wissen, wie es ihm ging, und Luc unterhielt sie mit einer launigen und übertriebenen Schilderung seines Sturzes und seiner anschließenden Genesung.
Gillian, die ihn betrachtete, entschied, dass er nie besser ausgesehen hatte als jetzt, wie er entspannt dasaß, am Tisch ihr gegenüber. Es gab keine Spuren mehr von den Verletzungen, die er erlitten hatte. Sein schwarzes Haar schimmerte im Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel, und seine azurblauen Augen funkelten belustigt – kurz, er sah aus, als strotzte er vor Gesundheit.
Einen Sekundenbruchteil trafen ihre Blicke sich, dann senkte sie ihren. Ihr Herz raste. Ich bin kein unerfahrenes junges Mädchen, das sich von einem hübschen Gesicht überwältigen lässt, mahnte sie sich.
Die Unterhaltung plätscherte ein paar Minuten lang dahin, wechselte vom einen zum anderen Thema, bis Luc sagte:
»Ich hatte einen Grund für meinen Besuch hier.« Er schaute Silas an. »Ich bin mir nicht ganz sicher, wie es so weit kommen konnte«, gestand er, » aber ich bin jetzt Besitzer eines Anwesens. Mein Bruder hat mir Ramstone Manor verkauft. Den größten Teil des gestrigen Nachmittags habe ich damit verbracht, das Haupthaus und ein paar Außengebäude zu besichtigen. Zwar erwarte ich von meinem Bruder nichts anderes, aber es hat mich doch gefreut, dass alles in bestem Zustand ist.« Er grinste. »Ich bin bereits mit meinen beiden Dienstboten eingezogen – gestern Abend haben wir uns eingerichtet.« Umständlich fügte er hinzu: »Da das Wetter schön ist und wenn es nicht zu kurzfristig ist, wäre es mir eine Freude, wenn Sie« – er blickte in die Runde – »mit mir hinüberfahren und sich heute Nachmittag mein neues Zuhause ansehen würden.«
»Bei Zeus! Das sind ja wunderbare Neuigkeiten, mein Junge!«, rief Silas. »Ramstone ist, wenn ich mich recht erinnere, ein feiner Besitz.«
»Kennen Sie es?«,
Weitere Kostenlose Bücher