Eine betoerende Schoenheit
konnte den Blick nicht von seinem Hals wenden. „Hat das Unannehmlichkeiten mit sich gebracht?“
Er stellte das Glas auf dem Teppich ab. War das ein Signal, dass er bereit war, sich auf sie zu stürzen? „Er ließ hier und dort ein paar Tiraden los, aber es ist nicht leicht, mich von einem einmal gewählten Weg abzubringen. Ich habe ihn weitestgehend ignoriert.“
Mit dem Finger fuhr er fast zärtlich den Rand des Glases nach. Sie musste sich unweigerlich an die vergangene Nacht erinnern, als er sich mit solch geschickten Berührungen ihren Körper gefügig gemacht hatte. „Den meisten jungen Männern fällt es schwer, sich elterlichen Anordnungen zu widersetzen.“
Er setzte sich auf und legte in einer ausladenden und selbstsicheren Geste beide Arme auf die Rückenlehne der Chaiselongue. „Mein Vater nahm sich ungeheuer wichtig, er war aber kein besonders ernstzunehmender Mann, was es mir leicht machte, nicht auf ihn zu hören. Abgesehen davon wusste ich, wo die Küche war. Ich hatte also keine Angst davor, ohne Abendessen ins Bett zu müssen.“
Sie hatte sich mit dem Rücken praktisch gegen den Steinblock gelehnt. „Meine Familie war immer äußerst darauf bedacht, dass ich nicht allzu egoistisch werde. Dies und die Ansichten meines Ehemanns haben genügt, um mich davon zu überzeugen, dass es flatterhaft und selbstsüchtig wäre, meinem Wunsch zu folgen, Fossilien auszugraben.“
Ein Lächeln spielte um seine Lippen. „Lassen Sie sich so leicht entmutigen?“
Sprachen sie noch über Fossilien? „Ich kann mein Interesse selbst nicht vollkommen gutheißen. Ich will versteinerte Skelette finden, die größer, besser und überraschender daherkommen als alles, was bisher gefunden wurde, und nicht, weil ich eine echte Naturforscherin sein will, die versucht, die Welt zu verstehen.“
Er stand auf. „Es ist nicht ehrenrührig, größer, besser und überraschender sein zu wollen. Der Reiz der Jagd ist es, der uns alle antreibt, ob wir nun den nächsten Planeten suchen, ein neues Prinzip in der Physik oder genau das schwer zu findende Fossil, das erklären würde, wie das Leben den Ozean verließ und sich aufs Land ausweitete.“
Er war noch immer am anderen Ende des Raumes, hatte noch immer verbundene Augen.
Sie bekam schon jetzt kaum noch Luft. „Ich sollte gehen“, sagte sie übergangslos.
Er neigte den Kopf ein wenig. „Sie sind bei mir in Sicherheit. Das wissen Sie.“
Das stimmte nicht. Sie war sehr, sehr lange nicht mehr in so großer Gefahr gewesen. Wie dumm sie gewesen war, anzunehmen, dass er die Entscheidung für sie fällte. Sie spielte nicht mit dem Feuer, sie jonglierte Dynamitstangen, die bereits angezündet waren. Jedes Quäntchen Vergnügen, das sie sich jetzt gönnte, würde sie später mit einem Pfund Leid bezahlen.
„Danke für das Abendessen und für das Vergnügen, die Versteinerungen sehen zu dürfen.“ Ihre Worte überschlugen sich fast vor Eile, mit der sie gehen wollte.
„Sie sorgen dafür, dass ich eine sehr lange Nacht vor mir habe.“
„Es tut mir leid, aber ich kann wirklich nicht bleiben.“
Er hielt den Kopf, als sähe er ihr geradewegs ins Gesicht. „Dann gute Nacht. Ich treffe Sie morgen zur gleichen Zeit am gleichen Ort für unseren Spaziergang.“
Sie schüttelte den Kopf. „Es gibt keinen Anlass für ein Wiedersehen.“
„Ich dachte, ich hätte mehr als deutlich gezeigt, wie sehr ich Ihre Anwesenheit schätze, auch wenn Sie nicht nackt neben mir liegen.“
Sie bekam einen trockenen Mund. Erinnerungen an ihre Wollust der vergangenen Nacht, die er ihr bereitet hatte … Sie musste sich räuspern, ehe sie wieder sprechen konnte. „Nachdem wir ohnedies in einer Weile getrennte Wege gehen werden, können wir das genauso gut gleich tun.“
Er setzte sich wieder aufrecht hin und hielt mit einer Hand ihren Hut fest. „Ich finde es sehr bedauerlich, dass unsere Wünsche so weit auseinander gehen“, sagte er langsam, während seine Finger über den Saum des Schleiers strichen.
Sie wollte seine Hände auf ihrem Körper spüren, wollte, dass er sie einfach berührte, weil er es wollte. „Wenn Sie mir nun bitte meinen Hut reichen würden. Ich möchte gehen.“
„Wenn ich Sie nie mehr wiedersehen darf, verdiene ich einen Abschiedskuss“, erwiderte er. Aus seiner sorglos-liebenswürdigen Art wurde im Handumdrehen eine äußerst fordernde Haltung, in der er nicht mit sich diskutieren ließ.
„Das ist töricht“, sagte sie, aber es klang nicht
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