Eine betoerende Schoenheit
Venetia. „Die Tremaines veranstalten morgen Abend einen Ball. Nach dem Dinner werden wir geschlossen dorthin gehen.“
„Bis dahin sollten wir es darauf anlegen, so viel wie möglich in der Öffentlichkeit gesehen zu werden“, sagte Helena. „Vergiss nicht, deiner Modistin einen Besuch abzustatten. Du wirst sicher jeden umwerfen wollen, der dir im Weg steht – natürlich auf die bezauberndste Art und Weise.“
„Ja, ich glaube, ich habe da genau das Richtige“, murmelte Venetia.
Sie hatte während ihrer Ehe mit Tony entdeckt, dass ein perfektes Äußeres oft ausreichte, um die Leute davon zu überzeugen, dass sie glücklich war. Ihre Erscheinung am kommenden Tag würde niemanden daran zweifeln lassen, dass sie ihr Leben voll und ganz im Griff hatte.
Stille breitete sich im Raum aus. Millie und Fitz dachten sicher beide an die Einzelheiten ihrer notwendigen Vorbereitung. Was Helena betraf, so hatte Venetia keine Ahnung, was ihr durch den Kopf ging. Sie hoffte, dass Helena sich nicht wieder selbst die Schuld an allem gab. Wenn überhaupt, war sie froh über Helenas Fehlverhalten – es hatte ihr die schönste Woche in ihrem Leben beschert.
„Ich komme schon zurecht“, sagte sie.
In ihrer wilden Entschlossenheit abzureisen hatte sie es damals nicht richtig begriffen. Doch das Schlimmste war bereits geschehen. Sie hatte den Mann verloren, den sie liebte.
Alles andere war nichts als die Asche des einstigen Feuers.
Da Christian nicht an den Geselligkeiten der Londoner Saison teilnahm, hatte die Gesellschaft in diesen Kreisen eine übertriebene Vorstellung davon, wie viel Zeit er zu seinem Vergnügen im Ausland verbrachte. Er war jedoch selten mehr als vier Monate des Jahres unterwegs. In der übrigen Zeit kümmerte er sich um sein Erbe.
Die de Montforts waren seit jeher vom Glück begünstigt gewesen. Andere ebenso vornehme Familien besaßen Ländereien und Anwesen, die fast nichts mehr wert waren. Doch die de Montforts waren eher zufällig in den Besitz von Steinbrüchen, Minen, Wasserstraßen und Landstrichen gekommen, die seit Generationen bei Investoren und Bauträgern sehr begehrt waren.
Direkt und indirekt, durch älteren Besitz und neuere Unternehmungen, war Christian für den Lebensunterhalt von sechshundert Männern und Frauen verantwortlich. Er sorgte für die Beschulung ihrer Kinder und unterstützte ehemaliges Personal, das sich zur Ruhe gesetzt hatte.
Er verfügte über ein gewaltiges Einkommen, doch die Kosten waren ebenso atemberaubend. Deshalb war er bei den Treffen mit seinen Agenten und Rechtsbeiständen stets äußerst aufmerksam. An diesem Tag jedoch reichte seine Aufmerksamkeit nur, um einem Gesuch an den Schah von Persien zuzustimmen, das die Bitte beinhaltete, auf dessen Land nach Petroleum zu suchen.
Danach bekam er kaum noch mit, was von den Männern um ihn herum diskutiert wurde.
Der Traum war zurück – Mrs Easterbrook, die sich nach dem Liebesakt ohne Eile ankleidete, während er ihr mit unendlicher Freude dabei zusah. Als sie sich dieses Mal umgedreht hatte, hatte sie allerdings Deutsch gesprochen – mit der Stimme der Baronin.
Das Schlimmste daran war, dass er glücklich aufgewacht war.
Es klopfte. McAdams, der Anwalt, blickte verstimmt zur Tür.
„Sir“, sagte Richards, Christians Butler, „die Dowager Duchess möchte Sie sehen.“
Ihre Gnaden hatte nie zuvor darum gebeten, ihn während eines Treffens mit seinen Agenten zu sehen. War Mr Kingston etwas passiert? Als sie gestern aufgebrochen waren, hatte er sich bester Gesundheit erfreut.
Sie wartete im Salon auf ihn und schloss die Tür, sobald er eingetreten war. „Ganz London redet davon, Christian. Lady Avery berichtet, du hättest Mrs Easterbrook bei deinem Vortrag in Harvard beschuldigt, ihre Ehemänner mit ihrer Habgier ins Grab getrieben zu haben.“
Als das Wort Harvard fiel, hatte er das Gefühl, als bliebe die Zeit stehen. Die Lippen der Dowager Duchess bewegten sich mit der Geschwindigkeit eines Gletschers. Jede zusätzliche Silbe brauchte ein Äon, bis sie ausgesprochen war.
Aber den Rest musste er auch gar nicht mehr hören. Er kannte ihn schon. Die Zeit war gekommen, da er seinen Fehltritt teuer bezahlen musste.
„Lady Avery war bei dem Vortrag?“ Er hörte seine eigene Stimme, losgelöst, wie aus weiter Ferne.
Sie legte die Stirn in Falten. „Oh Christian, bitte sag, dass es nicht wahr ist.“
„Ich habe Mrs Easterbrooks Namen nie erwähnt.“
„Aber du hast tatsächlich über sie
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