Eine bezaubernde Erbin
noch etwas in ihrer Stimme. „Wirklich?“
Sie sah ihn direkt an, wieder ganz mädchenhafte Unschuld. „Warum sollte ich es Ihnen missgönnen?“
Darauf wusste er keine Antwort. Also gab er ihr Colonel Clements‘ Brief. „Der Colonel kommt zu Besuch.“
Sie überflog das Schreiben. Er hielt es ihr zugute, dass sie keine Miene verzog. „Nun, dann sollten wir wohl besser nach dem Tee noch etwas vom Nordflügel einreißen, meinen Sie nicht auch?“
„Bereit?“, fragte Fitz, als die Kutsche mit Colonel und Mrs Clements in Sicht kam.
Lady Fitzhugh nickte. Sie trug ihr dunkelstes Kleid, und ihr Haar steckte wieder in einem Dutt – dieses Mal billigte Fitz ihre Aufmachung. Sie waren beide minderjährig und mussten es mit einem imponierenden Mann aufnehmen. Das war nicht der geeignete Zeitpunkt, um so jung auszusehen, wie sie es war.
„Sind Sie bereit?“, murmelte sie.
„Ich muss zugeben, dass ich mich geradezu darauf freue.“
„Ich kam, ich sah, ich riss ein“, bemerkte sie trocken.
„Genau.“
Die Kutsche hielt vor dem Haus. Da die Zufahrt nach dem Bau des Nordflügels neu angelegt worden war, um das Gebäude bei der Anfahrt zur Schau zu stellen, musste der Colonel das Fehlen eines Teils davon bereits bemerkt haben.
Und tatsächlich, ehe sie auch nur ein Wort zur Begrüßung äußern konnten, bellte der Colonel: „Was ist mit dem Herrenhaus passiert, Fitz?“
„Colonel“, sagte Fitz, „Mrs Clements, wir freuen uns, dass Sie hier sind.“
„Was für eine reizende Brosche, Mrs Clements“, flötete seine Frau. „Bitte, kommen Sie doch herein.“
Colonel Clements ließ sich nicht so leicht ablenken. „Du wirst mir antworten. Was ist mit dem Haus passiert?“, wiederholte er seine Frage lauter, als sie eintraten.
Fitz spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. „Die Reparaturarbeiten sind noch in vollem Gange, Sir. Bitte, entschuldigen Sie den Zustand.“
„Reparaturen? Die Hälfte des Hauses ist weg.“
„Manchmal haben Reparaturen unerwartete Folgen.“
„Solche Folgen sind inakzeptabel. Ihr werdet den Nordflügel wieder aufbauen.“
„Natürlich werden wir das Anwesen ordentlich herrichten. Aber das werden wir nicht heute Nacht schaffen“, sagte Lady Fitzhugh mit einem Selbstvertrauen und Geschick, dass ihre Jugend Lügen strafte. „Tee, Mrs Clements?“
Colonel Clements ließ das Thema nicht so einfach fallen. „Ich kann nicht glauben, dass Sie die Zerstörung Ihres Hauses so einfach hinnehmen, Lady Fitzhugh.“
Fitz atmete scharf ein. So zu tun, als würde Colonel Clements überreagieren, war eine Sache, sich mit seinem Zorn direkt konfrontiert zu sehen, eine ganz andere. Lady Fitzhugh war allerdings kein bisschen eingeschüchtert. „Hinnehmen, Sir? Nein, ich habe es angeregt. Es war meine Idee.“
Sie hatte nicht nur Mut. Sie hatte Rückgrat.
Colonel Clements geriet ins Stocken. „Erklären Sie sich, junge Dame.“
„Wäre der Nordflügel besser gebaut gewesen, hätten Lord Fitzhugh und ich uns bemüht, ihn wieder herzustellen. Er war aber schlecht geplant und noch schlechter ausgeführt worden. Selbst wenn wir ihn heute sanieren würden, müssten wir ihn immer wieder ausbessern und stets Geld investieren, damit er nicht wieder verfällt. Und da niemand über endlose Geldmittel verfügt, haben wir uns für ein bescheideneres Haus entschieden, das wir gut in Stand halten können.
Anderenfalls hätten wir meinen zukünftigen Erstgeborenen auf dem Heiratsmarkt verkaufen müssen, und ich weigere mich, das überhaupt in Erwägung zu ziehen. Es genügt, dass Lord Fitzhugh sich diesem Schicksal beugen musste. Es wird nicht wieder geschehen, nicht solange ich atme.“
Ihr Tonfall war überaus vernünftig, und sie behielt ein freundliches Lächeln bei. Aber die unterschwellige Leidenschaft ihrer Worte war nicht zu überhören. Colonel Clements war kurzfristig sprachlos. Und Fitz … erkannte allmählich, dass er kein gewöhnliches Mädchen geheiratet hatte.
Der Tee wurde hereingebracht. Lady Fitzhugh schenkte jedem eine Tasse ein.
„Das ist ganz ausgezeichneter Tee, Lady Fitzhugh“, bemerkte Mrs Clements.
„Das ist die reinste Ketzerei.“ Colonel Clements hatte seine Stimme wiedergefunden. „Das Anwesen muss für das Erbe vollständig erhalten bleiben. Ich kann nicht …“
„Colonel, Sie verärgern noch unsere Gastgeber. Warum nehmen Sie sich nicht eines dieser köstlich belegten Brote?“, beschied ihm Mrs Clements streng. „Sagen Sie, Lady Fitzhugh, was halten
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