Eine Billion Dollar
Investoren, noch in Exxon-Anteile einzusteigen, weil der verrückte Billionär aus London quasi jeden Preis zahlen würde.
»Reine Nervensache«, sagten Leute, die sich für Börsenprofis hielten, als der Kurs die 60-Dollar-Grenze durchbrach. »Wenn er Exxon haben will, wird er zahlen.«
London reagierte kühl. Der Kurs war gerade bei 63,22 Dollar angelangt, als eine jener Meldungen aus den Fernschreibern tickerte, die einem das Gedärm im Leib herumdrehen, sobald man ihre Tragweite begreift. John Salvatore Fontanelli, so wollten es gut unterrichtete Kreise wissen, habe gesagt, »dann kaufen wir eben Shell«. Für den folgenden Tag waren Übernahmeangebote an die Aktionäre sämtlicher anderen großen Rohölkonzerne angekündigt.
Alle, die Exxon-Aktien zu völlig überteuerten Kursen gekauft hatten, versuchten panikartig zu verkaufen. Dummerweise hatte die Neuigkeit schon die Runde gemacht, und niemand wollte mehr kaufen. Der Kurs fiel wie ein Stein.
McCaine verfolgte die Zahlen der New-Yorker Börse auf seinem Computermonitor in London mit der angespannten Ruhe eines Bomberschützen.
»Jetzt«, sagte er bei 32,84 Dollar sanft in einen seiner Telefonhörer.
Zwei Wochen später sollten überall auf der Welt Angestellte damit beginnen, altes Briefpapier in Müllcontainer zu werfen, um es durch neues zu ersetzen mit der Kopfzeile »EXXON – A Fontanelli Corporation«.
Diesmal bekamen sie die Schlagzeilen auf der ersten Seite, in allen Zeitungen und überall auf der Welt. Kein Nachrichtensender, der nicht zuallererst von der Exxon-Übernahme berichtete. Hätte man den Grundtenor der Meldungen in zwei Worten zusammenfassen müssen, sie hätten gelautet: Blankes Entsetzen.
Mit einem Schlag war auch dem letzten Journalisten klar geworden, was ein Privatvermögen von einer Billion Dollar bedeutete. In zahllosen Sondersendungen, Gesprächsrunden und Interviews rund um den Globus wurde wieder und wieder erörtert, was McCaine John schon bei ihrem ersten Zusammentreffen erklärt hatte: dass es eine Sache war, wenn ein großer Investmentfonds oder eine Bank über Hunderte von Milliarden Dollar verfügte, und eine ganz andere, wenn einer einzelnen Person dieselbe Summe Geld wirklich und wahrhaftig gehörte.
»Der Unterschied«, fasste es ein gewisser Lord Peter Rawburne zusammen, laut Interviewankündigung einer der bedeutendsten Wirtschaftsjournalisten der Welt, »ist ganz einfach der, dass Fontanelli sich den Teufel um Rentabilität scheren muss bei seinen Entscheidungen. Das macht ihn unberechenbar. Man könnte auch sagen, frei.«
So viel Freiheit erregte Argwohn. Wirtschaftsminister mahnten soziale Verantwortung an. Gewerkschaftsführer gaben schwere Bedenken gegen derartige Konzentrationen von Geld und Einfluss zu Protokoll. Die Vorstandsvorsitzenden anderer großer Konzerne bemühten sich, Zuversicht auszustrahlen und den Eindruck zu erwecken, alles unter Kontrolle zu haben.
Was, so hechelte man allerorten durch, würde als Nächstes geschehen? Einige Zeitschriften, darunter seriöse Finanzblätter, veröffentlichten richtiggehende Weltkarten, in denen wunderschön eingezeichnet war, mit Firmenlogos und Börsenwerten, wie ein weltumspannender Fontanelli-Konzern aussehen mochte. »Die nehmen unseren Analysten die halbe Arbeit ab«, kommentierte McCaine schmunzelnd. Ein nicht ganz so seriöses Magazin rechnete gar detailliert aus, welche der kleineren Länder Afrikas Fontanelli vollständig aufkaufen könne, mit Grund und Boden und allem staatlichen Besitz. Keine zwei Prognosen glichen sich. Im Prinzip, so schien es, konnte alles passieren.
An Weihnachten nahm John die überraschende Einladung McCaines zu einem Abendessen mit ihm und seiner Mutter an.
Mrs. Ruth Earnestine McCaine war eine von fortschreitendem Rheuma gezeichnete Frau, die schief und krumm in ihrem geblümten, viel zu großen Ohrensessel saß, aber trotzdem die unbeugsame Entschlossenheit ausstrahlte, der Krankheit zu trotzen. Blaugraue Augen blickten durchdringend aus einem Gesicht voller Lachfalten und Altersflecken, umrahmt von lockigem, weißem Haar von überraschender Fülle. »Wie gefällt es Ihnen in Ihrem Schloss?«, wollte sie wissen.
»Dazu kann ich noch schwer etwas sagen«, sagte John. »Ich wohne jetzt gerade mal eine Woche dort.«
»Aber es ist doch ein schöner Bau geworden, oder?«
»Ja, sicher. Sehr schön.«
»Sie müssen wissen«, warf McCaine mit einem amüsierten Lächeln ein, »dass meine Mutter einen
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