Eine Billion Dollar
Nacht hinein. Er bestellte Leute zum Bericht, erteilte Anweisungen, ließ sich Projekte, Baupläne und Finanzierungen erklären, Probleme und Lösungsvorschläge vortragen und traf die Entscheidungen, traf immer wieder Entscheidungen, sagte Ja oder Nein oder verlangte Alternativen. Er saß an der Spitze des großen, schimmernden Tisches, die Silhouette der Stadt im Rücken, die Augen von fünfzig oder mehr Direktoren auf sich gerichtet, von denen jeder mindestens zehn Jahre älter war als er, sagte ihnen, was er wollte, verlangte, sich vorstellte, und entließ sie mit einem Nicken, weil die nächste Konferenz anstand.
Zuerst war es erregend. Pures Adrenalin. Er war wichtig, er hatte die Dinge in der Hand, er trug die Last der Welt auf seinen Schultern. In manchen Momenten war es besser als Sex, und er begann zu verstehen, warum so viele so gierig auf Karriere, Macht und Einfluss waren. Es war ein angenehmes Gefühl, spät abends vom Schreibtisch aufzustehen, seit Stunden von derselben Dunkelheit umlagert, die er morgens – also vor Ewigkeiten – vorgefunden hatte, und von einem ereignisreichen Tag so wohlig erschöpft zu sein wie von einem Sportmatch oder einer Liebesnacht.
Doch schon nach ein paar Tagen spürte er, wie es an seinen Kräften zehrte. Er kam morgens kaum aus dem Bett, sah Ringe unter den Augen, wenn er im Bad in den Spiegel sah, brauchte Unmengen unglaublich starken Kaffees, um in Fahrt zu kommen, und noch mehr, um in Fahrt zu bleiben. Bald war es weit nach Mitternacht, wenn sein Rolls-Royce aus der Tiefgarage kam, und auf der Rückfahrt ins Schloss schlief er regelmäßig ein. In Besprechungen war er reizbar, verlor rasch die Geduld, wurde ungehalten und unwirsch. Zwar zuckten die Leute zusammen und suchten die Schuld für die schlechte Laune des mächtigen Mannes erst einmal bei sich, aber John wusste, dass es seine eigene Schwäche war, dass er nicht mehr wirklich die Kontrolle hatte über das, was er tat oder sagte. Er hatte das deutliche Gefühl, dass das gefährlich werden konnte, jedoch nur eine verschwommene Vorstellung davon, was das konkret heißen mochte: Schließlich gehörte ihm der Konzern bis zur letzten Schraube und zum abgenagtesten Bleistift – er stand nicht in Gefahr, seinen Posten zu verlieren. Und er war reich genug, dass er selbst dann reich sterben würde, wenn er den Rest seines Lebens Milliardenverluste machen sollte.
Eingedenk McCaines Motto, dass Geld alles ausgleicht, selbst mangelndes Talent, ließ er sich ein paar Tage lang diskret von einem der besten Management-Berater der Welt unterweisen. Er fing an, Prioritäten zu setzen. Er akzeptierte keinen Bericht mehr, der länger war als eine Seite. Er verlangte, dass niemand mit einem Problem ankam, ohne zugleich einen Lösungsvorschlag zu präsentieren. Er hielt Besprechungen im Stehen ab, damit sie nicht so lange dauerten. Er übte sich in der Kunst des richtigen Delegierens. Und so weiter.
Trotzdem kam er zu nichts. Er wollte eigentlich das Schloss verkaufen und eine Wohnung in der Stadt nehmen, aber er kam nicht dazu, sich darum zu kümmern. Er hatte erwogen, in einem Nebenraum des Büros ein Bett aufstellen zu lassen: Selbst dieses Vorhaben ging unter. Er kam nicht einmal dazu, Ursula anzurufen – wobei er sich allerdings eingestehen musste, dass er, gesetzt den Fall, sie wäre zu ihm zurückgekehrt, auch nicht gewusst hätte, wie er sie in seinem randvoll gepackten Leben überhaupt noch hätte unterbringen wollen.
Die Weihnachtsfeiertage verschlief er fast vollständig, eine Atempause, die er dringend gebraucht hatte. Mit widerwilligem Respekt fragte er sich, wie McCaine das eigentlich die ganzen Jahre durchgehalten hatte.
»Leider«, sagte der Anwalt und rieb sich die elfenbeinernen Hände, die, wenn er sie nicht beschäftigt hielt, immer wie von selbst zu der Zigarettenpackung in seiner Hemdtasche wanderten und erst im letzten Moment zurückzuckten.
John sah ihn an und fühlte endlose Müdigkeit auf seiner Seele liegen wie eine dichte Schneedecke. Die Glut seines Zorns glomm irgendwo darunter, kaum noch auszumachen und dicht davor, zu verlöschen. »Aber das, was McCaine gemacht hat, ist doch Betrug, oder?«, fragte er.
»Das ist nicht die Frage. Die Frage ist, erreichen wir ein Urteil? Und da sehe ich schwarz«, sagte der Anwalt mit sanfter Stimme. »Allein bis die gerichtliche Zuständigkeit geklärt ist, dürften Jahre vergehen. Mister McCaine ist ein reicher Mann. Er kann die besten Anwälte
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