Eine Billion Dollar
hergekommen? Und wahrscheinlich war es das, was ihm zu schaffen machte, mehr, als er zugeben wollte. Besser, er ließ das zunächst auf sich beruhen.
»Ich fliege am Montagmorgen nach London und nachmittags weiter nach New York«, erzählte John, als sie saßen. »Meine Eltern haben Hochzeitstag. Du weißt ja, das ist immer ein Familientreffen. Aber du kannst natürlich hier bleiben, das ist kein Problem.« Nach London musste er wegen der Anprobe seiner Anzüge.
Marvin nickte versonnen, sah ihn wieder an mit dem Blick von vorhin. Ein Blick, der etwas Unheilvolles hatte. Dann stürzte er seinen Drink in einem Zug hinab, stellte das Glas auf den Tisch, lehnte sich zurück und sagte: »Pass auf, John. Pass auf, dass dich das Geld nicht verändert.«
Er zog seine alte Armbanduhr für die Reise zu seinen Eltern an, seinem Vater zuliebe. Aber es wäre ihm wie Heuchelei vorgekommen, so zu tun, als führe er noch dasselbe Leben wie früher, deshalb wählte er den Rest seiner Garderobe so, wie es ihm gefiel.
Beim Zusammensuchen der Reisepapiere fiel ihm wieder der Brief über den Schutz der Artenvielfalt in die Hände. Der schien ihn mit einer gewissen Hartnäckigkeit zu verfolgen. Er beschloss, ihn mitzunehmen, während des Fluges zu lesen und danach entweder fortzuwerfen oder Geld zu überweisen. Da er sich ohnehin vorgenommen hatte, gründlich nachzudenken, was er mit dem Geld und der Prophezeiung machen würde, konnte ihm das genauso gut als Ausgangspunkt dienen wie alles andere.
Es war ein gewöhnlicher Linienflug erster Klasse nach New York, auf dem Oberdeck eines Jumbo-Jets, das mit Sitzgruppen aus bequemen Polstersesseln eingerichtet war wie ein überfülltes Wohnzimmer. Die Leibwächter hatten nur darauf bestanden, für die Weiterfahrt nach New Jersey bei einem New-Yorker Schutzdienst ihres Vertrauens eine gepanzerte Limousine zu mieten, die sie am Flughafen erwarten würde.
Der Brief stammte vom World Wildlife Fund und bat um finanzielle Unterstützung einer Kampagne, die »Living Planet« genannt wurde. Sie hatte zum Ziel, die zweihundert wichtigsten Lebensräume der Erde zu erhalten – Gebiete, die sich durch besondere Natürlichkeit, Einmaligkeit, Ursprünglichkeit oder Seltenheit auszeichneten oder aus sonst einem Grund eine Schlüsselrolle in der Evolution des Lebens spielten. Der Erhalt dieser Gebiete, hieß es, rette rund achtzig Prozent der heutigen Biodiversität.
Biodiversität, erfuhr John in dem beiliegenden Prospekt, war im Grunde nichts anderes als Artenvielfalt, sowohl was Tiere als auch Pflanzen betraf. In den letzten Jahrzehnten beobachteten Forscher ein Massenaussterben von Arten, wie es das zuletzt vor 65 Millionen Jahren gegeben hatte, als die Dinosaurier von der Erde verschwunden waren. Gegenwärtig, las John und musste es gleich zweimal lesen, weil er es kaum glauben konnte, verschwand durchschnittlich alle zwanzig Minuten eine Art. Das waren rund sechsundzwanzigtausend Tier-und Pflanzenarten jedes Jahr, die für immer verloren gingen. Rund ein Viertel aller Wirbeltiere galt als gefährdet, jede achte Pflanzenart als vom Aussterben bedroht. Dieses Aussterben war dabei beileibe nicht etwas, das sich nur in irgendwelchen fernen Regenwäldern abspielte und bizarre Heuschreckenarten oder seltene Orchideen betraf: Sogar die Nutztierrassen waren in Gefahr. Es gab zum Beispiel rund fünfhundert Rinderrassen, doch von diesen wurden nur zwanzig weitergezüchtet, die übrigen verschwanden nach und nach. Nur noch zehn Prozent der existierenden Maisarten wurden angebaut, vorzugsweise hochleistungsfähige, aber krankheitsanfällige Sorten. Der genetische Pool auch der überlebenden Arten und Rassen verarmte auf diese Weise dramatisch.
Alle Lebensgrundlagen des Menschen, führte der Prospekt aus, waren abhängig von einem funktionierenden Ökosystem. Gesunde Nahrung, sauberes Wasser, stabiles Klima und so weiter setzten voraus, dass es Meere gab, die für den Ausgleich von Temperaturen und Feuchtigkeit sorgten und nebenbei Lebensraum für Fische darstellten, dass Wälder Kohlendioxid speicherten und Sauerstoff erzeugten, dass Holz wuchs, Insekten die Schädlinge des Menschen dezimierten, dass Mikroorganismen im Boden existierten, ohne die unsere Felder keine Erträge liefern würden.
Alle diese kostenlos erbrachten Leistungen des irdischen Ökosystems stellten einen Wert von rund dreißig Billionen Dollar dar, rechnete der Prospekt vor, fast das Doppelte des globalen Bruttosozialprodukts.
John
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