Eine Billion Dollar
Ersten Klasse, die zwar eng war, aber immer noch weitläufig verglichen mit der sardinenbüchsenartigen Touristenklasse ein Deck tiefer, dachte an seine Villa am Strand, den großen Zaun um den Garten, die Schutzleute, den Privatstrand, die Jacht. Wie ein plötzlicher Zahnschmerz durchzuckte ihn die Erkenntnis, dass reiche Leute eine Menge Geld dafür ausgaben, sich diese Menschenfluten vom Leib zu halten.
Er hatte Angst gehabt, das Haus seiner Eltern könnte ihm fremd geworden sein, könnte ihm ärmlich und billig vorkommen wie sein altes Geschirr. Aber als sie ankamen und er durch die Tür trat, war plötzlich alles wieder vertraut, atmete Heimat und Zuhause. Er umarmte seine Mutter im Flur, in dem es nach Leder roch und nach Wachs aus der Werkstatt, die sein Vater für diesen Tag zugemacht hatte. Im Wohnzimmer hing der Geruch aus der Küche, nach Tomaten, frischem Basilikum und Nudelwasser, und John und sein Vater umarmten sich, während Mutter sich kaum beruhigen konnte darüber, wie stattlich er aussehe und wie braun gebrannt.
Alles war noch wie immer. Die braune Rautentapete im Flur, die immer dunkler wurde mit den Jahren. Die Treppe nach oben, deren dritte Stufe immer noch knarrte. Sein Zimmer, in dem nichts verändert worden war seit seinem Auszug zu Sarah. Er würde heute Nacht in einem Museum schlafen. Und immer noch dieser undefinierbare Geruch im oberen Stockwerk, der ihm mehr als alles andere seine Kindheit in Erinnerung rief.
Immerhin stand ein neuer Fernseher im Wohnzimmer. Er setzte sich auf das Sofa, auf dessen Lehne gehäkelte Deckchen lagen, und sagte, dass es ihm gut ginge. Mutter deckte den Tisch. Vater erzählte, dass sie es mit den Beinen gehabt habe in letzter Zeit. Er ließ nicht erkennen, ob ihm aufgefallen war, dass John seine alte Uhr trug, aber das war auch nicht zu erwarten gewesen.
Kurz darauf kamen Helen und Cesare an. Sie brachten einen großen Blumenstrauß mit. Die Art, wie sie John begrüßten, hatte etwas Gezwungenes, als wüssten sie nicht recht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollten. Helen sah aus wie immer, ganz die intellektuelle Frau und Philosophiedozentin, das lange Haar offen, in modisches Schwarz gekleidet, zeitlos, als habe sie einen Trick gefunden, der Aufmerksamkeit der verstreichenden Jahre zu entgehen. Cesare dagegen wurde immer lichter auf dem Kopf, was ihn aussehen ließ, als sei er schon weit über vierzig, obwohl er noch nicht einmal achtunddreißig war. Die angestrengt wirkenden Falten um den Mund hatte John letzte Weihnachten noch nicht an ihm bemerkt. Cesare war immer noch mager, und besonders glücklich sah er nicht aus.
»Euer wievielter Hochzeitstag ist das jetzt?«, fragte Helen, als sie am Tisch saßen. Über Lino wurde kein Wort verloren, sein Stuhl fehlte einfach. »Euer neununddreißigster? Dann müsst ihr nächstes Jahr etwas ganz Besonderes machen!«
John sah, dass der Blick seiner Mutter ihn kurz streifte bei dieser Bemerkung. »Mal sehen«, sagte sie knapp.
Das Saltimbocca schmeckte großartig. Es war kaum zu fassen. John sah, während er den ersten Bissen kaute, hinab auf den Teller und fragte sich, ob es ihm in irgendeinem der zahllosen guten, teuren Restaurants, in denen er in der Zwischenzeit gewesen war, jemals so gut geschmeckt hatte. Oder kam ihm das nur so vor, weil er mit dieser Küche aufgewachsen war?
»John«, fragte seine Mutter halblaut, »müssen diese beiden Männer unbedingt da draußen im Flur sitzen?«
Er verstand nicht recht, worauf sie hinauswollte. Sein anderes, neues Leben kam ihm im Augenblick wie ein ferner Traum vor. »Sie tun nur ihren Job, mamma .«
»Aber es ist in Ordnung, wenn ich ihnen auch einen Teller rausbringe, oder?«
Die Leibwächter ließen sich überreden, in die Küche zu gehen und dort am Tisch zu essen. »Die haben ja Waffen unter ihren Jacketts«, raunte ihm seine Mutter erschrocken zu, als sie zurückkam.
Das brachte ihm sein Vorhaben wieder in Erinnerung. Beim Dessert erklärte er, dass er vorhabe, jedes Mitglied der Familie finanziell unabhängig zu stellen. »Auch Lino natürlich«, fügte er hinzu. Jeder solle zehn Millionen Dollar erhalten, ein Kapital, von dessen Zinsen man bequem leben könne, ohne sich jemals wieder Sorgen um Geld machen zu müssen.
»Allerdings wird da Schenkungssteuer fällig«, warf Cesare in bestem Finanzbeamtenton ein.
Sein Vater räusperte sich vernehmlich, nahm die Serviette vom Schoß, legte sie neben den Teller und furchte die Stirn und die
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