Eine Billion Dollar
hob den Blick und spähte durch eines der Fenster hinaus auf die strahlende Wolkendecke, über der sie flogen. Das war das erste Mal, dass er eine Zahl fand, zu der er sein unvorstellbares Vermögen in Beziehung setzen konnte. Demnach betrug das globale Bruttosozialprodukt ungefähr fünfzehn Billionen Dollar. Mit anderen Worten, mit seinem Geld hätte er ein Fünfzehntel aller Waren und Dienstleistungen kaufen können, die in einem Jahr auf der ganzen Welt produziert wurden. Kaum zu glauben, oder? Was er damit wohl bewirken konnte? Irgend so eine raffinierte Maßnahme musste es sein, die die Prophezeiung meinte, irgendein Schachzug, den er nur mit einer riesigen Masse Geld anstellen konnte und der etwas Entscheidendes bewirken würde… Aber was?
Er wartete eine Weile, aber da waren nur wallende Nebel und diffuse Ungewissheit an der Stelle, an der er einen Geistesblitz gebraucht hätte, und so widmete er sich wieder dem Prospekt. Dreißig Billionen Dollar also war das Ökosystem der Erde wert.
Es war bemerkenswert, das einmal so auf den Punkt gebracht zu sehen. Die Argumente, die er bisher in seinem Leben gehört hatte, waren überwiegend emotionaler Natur gewesen – wie herrlich die Natur doch sei und wie schrecklich, dass sie so verschandelt wurde, diese Art von tränenumflorten Klageliedern. Dagegen konnte man nicht wirklich etwas einwenden, aber auf diese Weise wurde die Diskussion auch entwertet. Sicher, es war schrecklich, wenn ein schöner Wald für eine Autobahn oder eine Fabrik untergepflügt wurde, aber wenn es aus irgendwelchen Gründen »sein musste«, wenn Gefühle gegen Geld abgewogen wurden, dann gewann in der Regel das Geld.
Aber wurden in Wirklichkeit die Kosten für das Ökosystem nicht einfach außer Acht gelassen? Angenommen, man würde auf dem Mond oder einem anderen unwirtlichen Gestirn, auf dem es nichts gibt außer Platz, versuchen, die Erde nachzubauen. Man müsste in diesem Fall für all das selber sorgen, was es auf der Erde umsonst gab – Wasser, Luft, eine Vielfalt an Pflanzen und Tieren, fruchtbaren Boden. Man müsste Wasser herbeitransportieren oder künstlich erzeugen. Man müsste Luft herstellen, aufbereiten, reinigen und so weiter. All das würde unglaublich viel kosten. Wahrscheinlich wäre es unbezahlbar, auch nur ein erdähnliches Areal von der Größe eines Dorfes mit seinen Feldern auf dem Mond zu errichten. Und wenn dem so war, dann beging man, wenn man so tat, als sei das alles auf der Erde kostenlos, schlicht einen Rechenfehler.
Das hieß doch, dass die Naturschützer ihre Zeit verschwendeten, wenn sie Bagger blockierten und auf Mahnwachen Gitarrenlieder sangen? Die Unterpflüger konnten nur mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden. Was man tun musste, war, hinzugehen und ihre Kalkulationen auseinander nehmen, den Wert des Ökosystems mit hineinzurechnen und zu sehen, was unterm Strich herauskam.
Aber er selber hätte das auch nicht gekonnt. Und bestimmt gab es keine allgemein anerkannte Art, den Geldwert eines Waldes, eines Sees oder einer Tierart auszurechnen.
Am Schluss betonte der Brief noch einmal, dass Ökosysteme nicht an Landesgrenzen endeten und deshalb länderübergreifend verhandelt werden müsste, wofür der WWF prädestiniert sei. Und man würde ihn, sollte er sich entschließen, eine größere Summe zu spenden – so von hundert Millionen aufwärts – mit einer besonderen Zeremonie ehren. John steckte ihn weg, ließ sich einen Fruchtcocktail mit wenig Alkohol bringen und starrte nachdenklich aus dem Fenster.
Was war denn der Grund für das massenhafte Artensterben? Das Verschwinden der unberührten Natur. Menschen hatten im Lauf der Zeit jeden Fleck der Erde betreten, ihn dann erkundet und schließlich angefangen zu nutzen. Sie schlugen Holz, bauten Häuser, rangen mit Dünger und Pestiziden und Maschinen dem Boden Nahrung ab. Und der Grund für diese Entwicklung war, ganz banal, dass es immer mehr Menschen gab. Immer mehr Menschen, die essen wollten, die irgendwo leben mussten, die wiederum Kinder in die Welt setzten. Und so weiter.
Das war alles so verdammt kompliziert. Und so verdammt aussichtslos. Sollte er seine Billion dafür ausgeben, alle Welt mit Präservativen und Anti-Baby-Pillen zu versorgen? Das sah doch aus wie das Problem im Herzen aller Probleme. Menschen, viele, viele Menschen. Heerscharen davon, eine überbordende Flut von Menschen, immer mehr, die sich auf dem immer noch gleich großen Planeten drängten.
Er sah sich um in der
Weitere Kostenlose Bücher