Eine Braut fuer Lord Sandiford
voneinander entfernt stünden, würde er ihren Duft einatmen und ihre sinnlichen Lippen bewundern, die den seinen gefährlich nahe kämen.
Doch zu ihrem großen Leidwesen wusste sie, dass ihre Taktik, die bei anderen Männern niemals ihre Wirkung verfehlte, bei Sandiford nichts nützte. Auch wenn er sie durchaus begehrte, hielt er Schönheit nur für unwichtiges Beiwerk. Zweifelsohne durchschaute er sie ganz und gar und widerstand so der gegenseitigen Anziehungskraft, die eindeutig zwischen ihnen vorhanden war.
Nein, was er bevorzugte, war die stille, gefällige Frau, die an seinem Arm hing. Sicherlich hatte die Jungfer noch nie die Stimme erhoben, niemals ihr Kleid zerknittert und war noch nie einer törichten Laune gefolgt.
Clarissa wusste nicht, wie sie es eigentlich schaffte, die kurze Unterhaltung zu einem baldigen Ende zu bringen; doch zum Glück war es ihr nach einer Weile möglich, sich zu verabschieden. Das einzig Gute an der ganzen Angelegenheit war die Tatsache, dass sie kaum zwei Sätze mit dem Oberst hatte wechseln müssen.
Was hätte sie überhaupt zu ihm gesagt? Bestimmt nicht das, was sie fühlte – nämlich dass es ihr einen gehörigen Schlag versetzte, ihn mit einer anderen Dame zu sehen.
Aufrecht ritt Clarissa davon und widerstand lange dem Wunsch, noch einen Blick zurückzuwerfen, bis sie vermutete, dass die Gruppe inzwischen in die Kutsche gestiegen sein musste. Erst als sie das Knallen der Peitsche vernahm, drehte sie sich auf dem Sattel um und sah, wie das Gefährt davonfuhr. Ein merkwürdiges Gefühl der Einsamkeit machte sich in ihr breit.
Es war absurd, so zu reagieren. Welchen Unterschied bedeutete es schon für sie, ob der Oberst eine Frau aus dem Bürgertum heiratete oder nicht. Sie konnte schließlich jeden Mann in ganz London haben, wenn sie wollte. Alastair würde wahrscheinlich bald wieder um ihre Hand anhalten, und es gab keinen ihr bekannten Junggesellen, den sie nicht dazu bringen konnte, dasselbe zu tun.
Auch wenn sie schon lange nicht mehr so eingebildet war wie früher, so musste sie doch zugeben, dass es ihr gefiel, umschwärmt zu sein. Dieses seltsame Gefühl von Verzweiflung – ein Wort, das eigentlich zu stark war – ergab sich also schlicht und einfach aus der Tatsache, dass sie zum ersten Mal einen Mann getroffen hatte, den sie nicht zu lenken vermochte, wie es ihr gefiel.
So etwas musste ja früher oder später einmal passieren. Sie sollte es einfach abschütteln und ihr Leben weiterführen wie bisher. Vielleicht käme sie auf andere Gedanken, wenn sie mit Sarah über Maddie sprechen würde.
Doch selbst der Ritt schien Clarissa diesmal nicht zu helfen, wie dies sonst der Fall war.
Sicher, sie gönnte dem Oberst durchaus seine wohlhabende Braut. Er mochte voller Vorurteile stecken, aber er war dennoch ein ehrenhafter, mutiger und in vieler Hinsicht bewunderungswürdiger Mann. Er hatte es verdient, eine gute Frau zu finden.
Und die besitzergreifende Hand der jungen Dame auf seinem Arm schien darauf hinzudeuten, dass er bereits eine gefunden hatte.
Clarissa freute sich für ihn. Auch wenn sie zugeben musste, dass Lord Sandiford niemals ihr Freund sein konnte. Sie eigneten sich beide nicht für eine Freundschaft, da sie einander ständig reizten. Trotz des starken Begehrens, das zwischen ihnen bestand, müsste eine Verbindung, die länger als eine Unterhaltung – oder einen Kuss – dauerte, eine Katastrophe werden. Sie stellte sich sowieso schon als Närrin bloß, wenn sie die lächerliche Hoffnung hegte, eine Freundschaft mit ihm aufbauen zu können. Aber warum wäre sie jetzt am liebsten in Tränen ausgebrochen?
Ungeduldig wischte sie sich über die Augen. Nimm dich zusammen , tadelte sie sich. War sie tatsächlich so eitel, dass sie sich in ein Häufchen Elend verwandelte, sobald ihr einmal ein Mann nicht zu Füßen lag?
Aber er ist der einzige Mann, den ich haben will, erwiderte eine leise Stimme in ihr. Bei diesem Gedanken lief ihr eine Träne über die Wange.
Wütend wischte Clarissa sie fort. Diese abstruse Vorstellung, dass sich ihre Welt gerade auf immer verändert hatte und nichts jemals mehr so wie früher sein konnte, war hoffnungslos sentimental und hatte nichts – aber auch gar nichts – mit der Wirklichkeit zu tun.
Sie lenkte Diablo um eine Ecke, um dort nach ihrem verloren gegangenen Hut zu suchen, als ihr plötzlich die leise Stimme in ihrem Inneren zuflüsterte, was sie seit dem Abschied von Oberst Sandiford hatte überhören
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